Rendezvous mit Mr Darcy
Hochzeitstag?«
»Das hier ist nicht mein Hochzeitstag.«
Chloe schaute hinunter auf ihren weißen Mantel, das weiße Hochzeitskleid aus Musselin und die weißen Kalbslederpumps. Ihre Holzkiste mit der Aussteuer, die in Erwartung der Flitterwochen hinten auf die Kutsche gebunden worden war, war gefüllt mit Rüschen aller Art und Kleidern aus Brüsseler Spitze. Diese Aussteuer einzupacken war eine Übung der Demut gewesen, um die Flitterwochen vorzubereiten, die, im Anschluss an eine von ihr nicht gewollte Hochzeit, nie angetreten werden würden.
In der Schublade ihres Waschtischs fiel ihr das Taschentuch von Henry in die Hände, das er ihr an ihrem ersten Tag auf Bridesbridge gegeben hatte, und sie beschloss, auch das einzupacken, genauso wie das Fläschchen mit der Tinte, die mittlerweile völlig erstarrt war.
Mrs Crescent nestelte an ihrem Pompadour herum. »Sie feiern heute Hochzeit. Hier.« Sie drückte Chloe frische Minzblätter in die behandschuhte Hand. »Woher haben Sie das Laudanum?«
Chloe steckte die Minzblätter in den Mund und wies dann auf ihre geschlossenen Lippen, während sie kaute. Eine Dame würde nie mit vollem Mund sprechen. Schließlich schluckte sie die Blätter hinunter. »Ich habe es aus Ihrem Zimmer. Ich habe Sie davon erlöst.«
»Sie haben es gestohlen.«
Chloe richtete sich auf und drückte ihre Schultern gegen die gepolsterte schwarze Rückenlehne ihres Sitzes.
»Ich fügte es in der Nacht, als Sie Emma zur Welt brachten, meinen Vorräten hinzu.« Sie verschränkte die Arme über ihrem Mieder.
»Gütiger Gott? Was horten Sie denn so alles?«
Die Kutsche fuhr an den Malven vorbei, wo sie und Henry Schmetterlinge gefangen hatten.
»Ich habe mir einen Vorrat an jenen Dingen angelegt, die Grace hier hereinschmuggelte, weil ich beweisen will, dass sie mir das Kondom untergeschoben hat. Auch wenn ich ein paar Regeln gebrochen habe, sie hat noch viel mehr gebrochen.«
Mrs Crescent packte Chloe am Arm, ebenso wie es vor ein paar Nächten Sebastian getan hatte. »Hören Sie, meine Liebe, wir haben schon unzählige Male darüber gesprochen. Sie wurden erwischt. Sie müssen ihn heiraten.« Sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. »So hätte man es 1812 getan.«
In jenem Augenblick, als eine bestimmte Hose mit dem Latz nach unten gefallen war, hatte sich Chloes Schicksal erfüllt, denn der Diener hatte sie dabei erwischt, und er hatte den Vorfall weitererzählt. Grace jedoch war von niemandem erwischt worden – außer von Chloe.
Die Kutsche mit ihren Holzrädern ruckelte über die Straße, und jedes Ruckeln schien die Worte von Mrs Crescent noch zu unterstreichen. »Seien Sie froh, dass er Sie heiratet. Nicht alle jungen Frauen des Regency können sich so glücklich schätzen. Wie dem auch sei, es ist nur fürs Fernsehen. Sie heiraten ihn ja nicht wirklich. So oder so, ist es doch das, was wir wollten. Wir haben gewonnen!« Sie klatschte fröhlich in ihre behandschuhten Hände.
Doch sie hörte abrupt damit auf, als sie an einer Lichtung vorbeifuhren und entdeckten, wie dort Kameras eine Schar Bediensteter filmte, die sich um einen – Galgen? – versammelten. Ein Strick schwang hin und her, an dem ein Mädchen zu hängen schien. Ein Mädchen im Alter von Abigail. Chloes behandschuhte Hände zitterten. »Was – was geht hier vor?« Entsetzen erfasste sie.
»Eine Hinrichtung. Sie hängen dieses Waisenmädchen«, erklärte Mrs Crescent. Dann flüsterte sie: »Eine Scheinhinrichtung. Es ist nur ein Puppe, kein Mädchen.«
Die Puppe baumelte in der Sonne an dem Strick und drehte sich gerade zu Chloe, die daraufhin zusammenzuckte. »Igitt. Das ist ja furchtbar. Warum das?«
»Sie hat einen Laib Brot gestohlen.«
Chloe wollte aber nicht wissen, warum das Mädchen gehängt worden war, sondern warum die Scheinhinrichtung überhaupt inszeniert wurde. »Aber – Moment. Das Mädchen wurde gehängt, weil sie ein Brot gestohlen hat?«
Mrs Crescent nickte.
»Das kommt mir ein bisschen mittelalterlich vor.«
»Nein, das gehört zum Regency. Es ist sogar ganz typisch dafür.«
»Sie ist doch noch ein Schulmädchen.«
»Mädchen gehen nicht zur Schule, das wissen Sie doch.«
Chloe wusste es nicht. Mädchen erhielten keine Schulausbildung. Sie konnten nicht in Oxford oder Cambridge studieren. Und Damen durften nicht arbeiten. Sie mussten heiraten. Chloe schaute auf ihren weißen Pompadour hinunter. Eine Scheinhinrichtung am Tag ihrer Scheinhochzeit. Wie passend. Der Schatten des sich
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