Rendezvous mit Mr Darcy
auch«, sagte Chloe. Sie drehte der Kirche und der Kamera den Rücken zu. »England. Etikette. Ein Gentleman. 1812. Das romantischste Zeitalter der Geschichte.« Ganz zu schweigen von dem Geld. Doch sie hatte in den vergangenen Tagen, während der quälenden Vorbereitungen zu dieser Scheinhochzeit, Zeit gehabt, über das Geld nachzudenken, und ihr war klar geworden, dass sie es aus eigener Kraft schaffen könnte, das Ruder für ihr Geschäft herumzureißen. Sie hatte sich sogar umfangreiche Notizen dazu gemacht, wie sie es angehen würde. Chloe blickte auf ihre weißen Pumps auf dem grauen Stein.
Die Kirchenglocke begann zu schlagen. Eins, zwei, drei – ihr Vater sprach inzwischen lauter, doch die Glocke übertönte seine Stimme. Der junge Mann mit dem Mikrofon drängte sich an die beiden heran.
»Lass uns einfach nur etwas Spaß haben, okay? Deine Mutter und ich sind nur für dich den ganzen Weg hierhergekommen.«
Chloe biss sich auf ihre mit Erdbeeren geschminkte Unterlippe.
»Es ist nur ein Spiel. Nur fürs Fernsehen. Nichts hiervon ist echt. Tu so, als wärst du eine Schauspielerin. Ein Filmstar. Denk an all die Aufmerksamkeit, die dir diese Show einbringen wird. Danach kannst du machen, was du willst. Als du herausfandest, dass es sich um eine Reality-Show handelte, war ich dagegen, aber sie hat Stil.«
Chloe lächelte. »Es ist genau so, wie ich es dir geschrieben habe. Von einem Whirlpool weit und breit nichts zu sehen.«
Sieben, acht, neun Glockenschläge. Sie schaute hoch in eine Linde. Dieser Anblick erinnerte sie irgendwie an Henry. Ein Vogel sprang zwischen den Ästen herum. Die Glocke schlug zehn, und der Ton des letzten Schlags hallte wider. Die Zeremonie war für zehn Uhr angesetzt. Sie öffnete ihren weißen Pompadour aus Seide, zog die Brille heraus, die Henry ihr geschenkt hatte, und legte die silbernen Bügel um die Ohren.
Ihre Mom eilte herüber und nahm Chloes behandschuhte Hände in ihre. »Mein Engel, wenn du wegen der Feier als solche enttäuscht bist, nun ja, das war ich auch. Wirklich. Ich meine, wer gibt sich schon mit einem Hochzeitsfrühstück mit elf Personen zufrieden, statt mit vierhundert Menschen zu feiern bei einem Abendessen mit Steak und einem Orchester? Als ich erfuhr, dass es noch nicht einmal eine Hochzeitstorte geben würde, habe ich gesagt …«
Ihre Mutter sprach weiter, doch Chloe konzentrierte sich auf den Vogel. Es war ein Grünfink.
Ihre Mutter tätschelte ihren Rücken. »… aber ich nehme an, so hat man 1812 gefeiert. Traurig, wirklich. Solltet ihr beide auch im wahren Leben heiraten, wird es eine richtige Hochzeit geben. Dafür werde ich sorgen. Lass uns gehen, mein Liebes. Es ist Zeit. Nimm doch endlich diese Brille ab! Seit wann brauchst du eine Brille? Du siehst mit ihr so – altjüngferlich aus!«
Chloe behielt die Brille an. Ihr Vater steckte ihr das Biedermeiersträußchen in die rechte Hand und legte seinen Arm um ihre linke Hand. Gerade als sie über die Schwelle der Kirchentür traten, hörte sie den Finken rufen.
In der Kirche hatte sie das Gefühl, es wäre fünf Grad kälter, und es roch, wie es eben in allen Kirchen auf der Welt roch. Gewölbedecken und gemeißelte Steinfriese trugen zu dem Kältegefühl bei. Die Kerzen flackerten durch den Luftzug. Sebastian stand am Altar, und sie konnte sein perfektes Profil bewundern.
Für eine Scheinhochzeit fühlte es sich ganz schön real an. Sie lehnte sich an ihren Vater. Henry trug einen flaschengrünen Cutaway und bewegte sich unruhig auf der Kirchenbank.
Sie fühlte den drängenden Wunsch, ihn zu umarmen oder ihm wenigstens in die Augen zu schauen, doch er war der Einzige, der sie, die Braut, nicht anschaute, während sie zum Altar schritt. Selbst Grace starrte auf sie und trommelte mit ihren behandschuhten Fingern auf das schneckenförmige Geländer der Kirchenbank vor sich. Grace würde sofort nach der Hochzeit nach Hause geschickt werden. Sie hatte den Wettbewerb verloren, doch sie bei der Hochzeit zu filmen, würde wunderbar zur Theatralik beitragen, weshalb sie noch daran teilnehmen musste.
Einen Moment lang empfand Chloe es so, als wäre dies ein Film und nichts Reales.
Sie hatte das Gefühl, auf sich selbst herabzublicken, wie sie – wieder – heiratete. Beim ersten Mal, vor sechzehn Jahren, schien es genauso gewesen zu sein. Wie im Film. Unwirklich. Eine außerkörperliche Erfahrung in einem weißen Kleid. Wenngleich das weiße Kleid damals angemessen war. Als
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