Rendezvous mit Mr Darcy
deutlich besser gegangen, wenn sie ein Handy oder ein tragbares GPS gehabt und gewusst hätte, wo sie sich überhaupt befand. Oder wenn sie zumindest eine verdammte Plastikflasche Wasser bei sich gehabt hätte. Wie unverantwortlich von einem Menschen, der ein Kind hatte, sich auf der anderen Seite der Welt aufs Land zu begeben, ohne sich dort überhaupt zurechtzufinden. Was, wenn ihr etwas zustoßen und ihr Exmann am Schluss Abigail großziehen würde? In Boston? Mit der wohlhabenden Marcia Smith?
Als sie oben auf dem dritten Hügel angelangt war, musste sie ihre Augen nicht mehr vor der Sonne schützen, da ein Bataillon an Regenwolken am Himmel aufgezogen war. Der Wind, inzwischen kühler, hinterließ einen feuchten Film auf ihrer Haut, und sie war sich sicher, dass es gleich zu regnen beginnen würde. Wie konnte es an ihrem Beinahe-Hochzeitstag nur regnen? Sie zog ihren Mantel wieder an, noch während sie ihre trockenen Lippen mit den ersten Regentropfen befeuchtete. Der Anblick der in der Ferne auftauchenden Kirchturmspitze und der roten Ziegelhäuser mit Schieferdächern trieb sie weiter vorwärts.
Ein weißer Pappbecher wurde aus dem Fenster eines vorbeifahrenden Wagens über eine Hecke geworfen, und der Asphalt verwandelte sich in Kopfsteinpflaster, als sie eine Steinbrücke überquerte, die aus der Römerzeit stammen musste. Normalerweise hätte Chloe dieses idyllische Dorf mit seiner Hauptstraße aus Kopfsteinpflaster und den weiß getünchten Fachwerkhäusern, in dem Autos seltsam fehl am Platz wirkten, sehr gemocht. Als sie das Schild am Ende der Brücke las, HUNTSFORDSHIRE , lief sie geradewegs in eine Frau hinein, die in Laufkluft gekleidet, einen Jogger-Kinderwagen schob und dabei in ihr Handy sprach.
»Entschuldigen Sie vielmals«, sagte die junge Mutter. Das Baby schaute Chloe mit seinen großen blauen Augen an.
Sie musste zurück zu Abigail. Was hatte sie hier nur verloren?
»Geht es Ihnen gut?« Die junge Frau nahm ihr Handy vom Ohr.
Chloes nickte, auch wenn es nicht wirklich den Tatsachen entsprach.
»Nochmals, Entschuldigung.« Die Mutter schob den Kinderwagen weiter.
Chloe knickste aus Gewohnheit. Sie knickste!
Die junge Frau kniff die Augen zusammen, betrachtete Chloe von oben bis unten und lenkte den Kinderwagen mit ihrem kostbaren Baby in einem weiten Bogen um sie herum, als wäre sie eine Geistesgestörte.
Ihr Kopf pochte von all den Geräuschen, die auf sie einstürmten. Automotoren, ein Zug, Gehupe, Stimmen und Autoradios. Regentropfen fielen herab, und Regenschirme unterschiedlicher Größe und Farbe wurden überall um sie herum aufgespannt.
Keiner der Männer verbeugte sich vor ihr. Die Frauen knicksten nicht. Niemand schaute sie an, und wenn doch, schauten sie aus Höflichkeit sofort wieder weg. Sie war die vor sich hin brabbelnde, irre Obdachlose auf der Straße.
Der inzwischen herunterprasselnde Regen strömte über ihr Gesicht und lief ihr den Hals hinunter, ihr Augenbrauenliner war inzwischen sicher verschmiert. Trotz des Regens nahm sie den Duft von Scones wahr, der aus einer Bäckerei drang. Sie stand unter einer tropfenden Markise vor einer Teestube und einem Café und betrachtete sich im Schaufenster, nass geworden bis auf die Knochen. Eine wahre Antibraut, von dem Kind ganz zu schweigen.
Chloe drückte ihre Hand gegen das Fenster. Sie brauchte ein Flugticket nach Hause, aber zuerst einen Kaffee. Es musste noch nicht einmal ein Latte Macchiato aus doppeltem Espresso mit fettarmer Milch sein. Leider besaß sie aber kein Geld. Zum ersten Mal seit langer Zeit sehnte sie sich nach einer Kreditkarte und konnte nicht glauben, dass sie sie alle vor Jahren in einem Anfall von Wut zerschnitten hatte.
Sie erblickte einen jungen Mann, der in der Teestube saß. Er hielt einen Blumenstrauß in der Hand, eingepackt in weißes Papier. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit ließ der Anblick eines Mannes, der Blumen in der Hand hielt, in ihr keine Sehnsucht nach Winthrop aufkommen. Sie lächelte. Es lebte sich für beide besser ohne einander. Sie hatte ihn aus gutem Grund verlassen, und jetzt endlich verspürte sie die Kraft, ihm in dem bevorstehenden Sorgerechtsprozess die Stirn zu bieten. Sie könnte es schaffen – und gewinnen.
Der junge Mann in der Teestube warf Chloe einen feindseligen Blick zu; sie sah ja nun auch wirklich verrückt aus. Chloe trat vom Fenster zurück, und der Regen tropfte von der Markise auf sie herab. Der Mann wartete auf jemanden, weil er ein wirkliches
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