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Rendezvous mit Rama

Rendezvous mit Rama

Titel: Rendezvous mit Rama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
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man von der Wölbung oben herabhängen sah, waren wohl kaum beunruhigender als die herabhängenden Kronleuchter in einem Konzertsaal der Erde. Die Zylindrische See allerdings widersetzte sich jedem Versuch der Einordnung ...
    Dort rotierte sie, in halber Höhe des Brunnenschachts: ein breites Band aus Wasser, das ohne sichtbaren Halt die innere Peripherie umkreiste. Es war ganz ohne Zweifel Wasser; die Farbe war ein leuchtendes Blau mit ein paar blitzenden Flecken von den restlichen Eisschollen. Aber der Eindruck einer vertikalen See, die einen zwanzig Kilometer hohen, vollkommen geformten Kreis in den Himmel hinauf bildete, war ein Phänomen, das seinen Verstand derart irritierte, dass er nach einer Weile nach anderen Erklärungen suchte.
    Und hier veränderte sein Gehirn den Vektor und drehte ihn um neunzig Grad. Sofort wurde der tiefe Brunnen zu einem langen Tunnel, dessen beide Enden durch runde Kappen verschlossen waren. >Unten< war demnach ganz klar die Richtung der Leiter und der Treppen, die er soeben heraufgestiegen war. Und jetzt, nachdem er sich diese Perspektive zu eigen gemacht hatte, war Norton endlich in der Lage, die wahre Absieht der Architekten, die diesen Ort geschaffen hatten, zu erkennen und zu schätzen.
    Er klammerte sich an die Oberfläche einer sechzehn Kilometer hohen Klippe, deren obere Hälfte weit überragte, bis sie schließlich mit dem Rundbogendach verschmolz, das sie jetzt als Himmel zu bezeichnen gewohnt waren. Unter ihm fiel die Leiter mehr als fünfhundert Meter ab und endete auf dem ersten Sims oder der ersten Terrasse. Dort begann die Treppenkonstruktion, die sich zunächst nahezu vertikal in diesem Environment von so niederer Schwerkraft erstreckte und dann nach und nach flacher wurde, bis sie nach fünf weiteren Plattformen die weit entfernte Ebene erreichte. Über die ersten zwei bis drei Kilometer hin konnte er die einzelnen Stufen ausmachen, aber darüber hinaus verschmolzen sie optisch zu einem fortlaufenden Band.
    Die abstürzende Flucht dieses gigantischen Treppengebildes war so gewaltig, dass man unmöglich die wahren Ausmaße abschätzen konnte. Norton war einmal um den Gipfel des Mount Everest geflogen und von der majestätischen Größe überwältigt gewesen. Er machte sich klar, dass diese Treppe so hoch war wie der Himalaja. Allerdings war ein Vergleich unsinnig.
    Und angesichts der beiden anderen Treppenkonstruktionen, Beta und Gamma, wurde ein Vergleich vollends unmöglich. Sie ragten in den Himmel hinauf und reichten in einer Kurve weit über Norton hinaus. Er hatte mittlerweile genügend Selbstvertrauen zurückgewonnen, also wagte er es, sich zurückzulehnen und - kurz nur - zu ihnen aufzublicken. Dann versuchte er zu vergessen, dass sie da oben hingen ...
    Denn wenn man zu lange in dieser Richtung dachte, tauchte ein drittes Bild von Rama vor einem auf. Norton bemühte sich, diesen Eindruck mit allen Mitteln zu vermeiden. Die Gefahr lag darin, Rama erneut als vertikalen Zylinder oder Brunnenschacht zu begreifen. Nur würde er diesmal oben an der Spitze oder am >Brunnenrand< stehen, nicht auf dem Grund, und er würde wie eine Fliege kopfunter auf der Innenseite einer Kuppel kleben mit einem Abgrund von fünfzig Kilometern unter ihm. Jedes Mal wenn dieses Bild sich in seine Gedanken drängte, musste Norton sich bewusst und gewaltsam zwingen, nicht in sinnloser Panik die Hände wieder um die Leitersprossen zu klammern.
    Er war sicher, dass mit der Zeit alle diese Ängste weichen würden. Die wunderbare Fremdheit Ramas würde ihre Schrecklichkeit verlieren, jedenfalls für Männer, die dazu ausgebildet waren, sich den Wirklichkeiten des Weltalls zu stellen. Wahrscheinlich würde ein Mensch, der niemals die Erde verlassen hatte und nie das Sternenall um sich herum gesehen hatte, diesen Anblick überhaupt nicht ertragen können. Aber wenn ein menschliches Wesen befähigt war, diese Prospekte zu ertragen, dann - beschloss Norton bei sich - würde er es sein, der Kapitän der Endeavour.
    Er blickte auf seinen Zeitmesser. Die Unterbrechung und Ruhepause hatte nur zwei Minuten gedauert, aber in gewisser Weise war sie ihm endlos wie ein ganzes Leben erschienen. Er setzte kaum genügend Kraft ein, um seine physikalische Massenträgheit und das weichende Schwerkraftfeld zu überwinden, als er sich die letzten paar hundert Meter die Leiter hinaufarbeitete. Kurz bevor er die Luftschleuse betrat, wendete er sich noch einmal dem Inneren Ramas zu und überflog prüfend die

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