Rendezvous mit Rama
gigantische Raumschiff oder der künstliche Asteroid, der Rama getauft wurde, wurde vor einem Jahr in der Region außerhalb Jupiters geortet. Zunächst hielt man es für einen natürlichen Himmelskörper, der auf einer Hyperbelbahn lief, um die Sonne herum und wieder zurück zu den Sternen.
Als seine wahre Natur erkannt wurde, hat man den Beobachter Endeavour zur Kontaktaufnahme abbeordert. Ich zweifle nicht daran, dass wir alle Commander Norton und seiner
Besatzung zu der Effizienz gratulieren, mit der sie diesen ihren einzigartigen Auftrag durchführen konnten.
Anfangs glaubten wir, Rama sei tot - seit so vielen hunderttausend Jahren erstarrt, dass eine Wiederbelebung unmöglich erschien. In einem strikt biologischen Sinn mag das auch jetzt noch zutreffen. Es scheint unter den Wissenschaftlern, die sich mit der Materie befasst haben, allgemeine Übereinstimmung zu herrschen, dass kein lebender Organismus von einer gewissen komplexen Struktur in der Lage ist, einen künstlichen Scheintod mehr als nur ein paar Jahrhunderte zu überleben. Selbst bei absoluter Schwerelosigkeit dürften demnach die Restquantenwirkungen zu viele Zellinformationen auslöschen, als dass die Wiedererweckung möglich wäre. Demzufolge hatte es den Anschein, dass trotz der enormen Bedeutung Ramas für die Archäologie nicht mit größeren astropolitischen Problemen zu rechnen sein würde.
Heute ist es klar, dass dies eine äußerst naive Einschätzung der Lage war. Allerdings haben manche Kritiker von Anfang an darauf hingewiesen, dass Ramas Flugbahn zu exakt auf die Sonne ziele, als dass dies reiner Zufall sein könnte.
Aber selbst dann, so hätte man argumentieren können - und man argumentierte tatsächlich so -, konnte es sich um ein fehlgeschlagenes Experiment handeln. Rama hatte zwar das geplante Ziel erreicht, doch die kontrollierende Intelligenz hatte nicht überleben können. Auch dieser Standpunkt erscheint jetzt sehr naiv, denn er unterschätzt die Wesen, mit denen wir es zu tun haben.
Was wir vergessen haben in Erwägung zu ziehen, war die Möglichkeit eines nicht biologischen Überlebens. Wenn wir die äußerst plausible Theorie Dr. Pereras akzeptieren, und sie wird sicherlich allen Fakten gerecht, dann existieren die innerhalb Ramas beobachteten Geschöpfe erst seit sehr kurzer Zeit. Ihre Produktionsmuster oder Schablonen waren in irgendeiner zentralen Datenbank gespeichert, und als die Zeit reif war, wurden sie aus den vorhandenen Rohstoffen hergestellt. Möglicherweise waren diese in der metalloorganischen Suppe der Zylindrischen See enthalten. Derartige Unternehmungen liegen heute noch ein wenig außerhalb der menschlichen Möglichkeiten, doch sie stellen theoretisch kein Problem mehr dar. Wir wissen, dass feste Schaltungen im Gegensatz zu lebendiger Materie Informationen ohne Verluste über unbegrenzte Zeiträume aufzubewahren vermögen.
Also ist Rama vollkommen operationsbereit und in der Lage, die Absichten seiner Erbauer zu erfüllen - welche immer die sein mögen. Von unserem Standpunkt aus spielt es keine Rolle, ob die Ramaner selbst alle seit einer Million Jahren tot sind oder ob auch sie neu geschaffen werden und sich zu ihren Dienern gesellen, was jeden Augenblick möglich sein könnte. So oder so wird ihr Wille vollzogen und wird auch in Zukunft vollzogen werden.
Rama hat uns inzwischen den Beweis geliefert, dass sein Antriebssystem noch funktioniert. In wenigen Tagen wird er am Perihelium sein, wo er logischerweise eventuell wichtige Flugbahnänderungen vornehmen müsste. Wir müssen also damit rechnen, dass wir bald einen neuen Planeten haben - und er würde sich durch die Bezirke des Sonnensystems bewegen, die der Jurisdiktion meiner Regierung unterstehen. Es ist natürlich auch möglich, dass Rama weitere Richtungsänderungen vornimmt und sich auf eine definitive Umlaufbahn irgendwo um die Sonne begibt. Er könnte sogar zu einem Satelliten eines größeren Planeten werden. Zum Beispiel der Erde...
Meine Herren Mitabgeordneten, wir sehen uns also einer ganzen Reihe von Möglichkeiten konfrontiert, von denen einige allerdings wirklich ernster Natur sind. Es wäre töricht zu behaupten, dass jene Geschöpfe uns freundlich gesonnen sein müssen, dass sie sich in keiner Weise in unsere Angelegenheiten einmischen werden. Wenn sie in unser Sonnensystem kommen, dann deshalb, weil sie hier etwas holen wollen. Selbst wenn es nur wissenschaftliche Kenntnisse sein sollten - überlegen Sie sich bitte, wie dieses
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