Rendezvous mit Rama
selbst die unwahrscheinliche Gefahr, dass die Bombe gezündet werden könnte, wenn man an ihr herumhantierte. Aber falls dies eintreten sollte, würde die Endeavour immer noch hinter Rama als Schutzschild sicher sein. Und was Leutnant Rodrigo selbst betraf, so schien er die Möglichkeit der sofortigen Auferstehung mit völligem Gleichmut zu betrachten.
Doch selbst wenn die Bombe erfolgreich entschärft wäre, so bedeutete dies noch lange nicht, dass die Sache damit erledigt war. Die Hermianer könnten es ja erneut versuchen - es sei denn, man fand einen Weg, ihnen Einhalt zu gebieten. Aber wenigstens hätten sie ein paar Wochen Aufschub gewonnen; Rama würde weit jenseits des Periheliums sein, ehe es einem zweiten Geschoss möglich wäre, ihn zu erreichen. Und bis dahin würden hoffentlich die schlimmsten Befürchtungen der Panikmacher entkräftet sein. Oder aber auch umgekehrt...
Tun oder Nichttun, das war hier die Frage. Nie zuvor in seinem Leben hatte Commander Norton sich dem Dänenprinzen so verwandt gefühlt. Wie immer er entschied, die Möglichkeiten eines guten oder bösen Ausgangs schienen sich vollkommen die Waage zu halten. Er sah sich vor die schwierigste aller moralischen Entscheidungen gestellt. Wenn seine Wahl falsch war, dann würde er dies sehr rasch erfahren. Aber wenn sie richtig war - würde er vielleicht nie in der Lage sein, dies zu beweisen ...
Es hatte keinen Sinn, sich noch weiter mit logischen Argumenten herumzuschlagen und die möglichen Zukunftsalternativen zu skizzieren. Auf diese Weise konnte man nur endlos im Kreis herumrennen. Es war an der Zeit, dass er auf seine inneren Stimmen hörte.
Er erwiderte den ruhigen stetigen Blick, der ihn über die Jahrhunderte hinweg traf.
»Ich stimme Ihnen zu, Kapitän«, flüsterte er. »Die menschliche Rasse muss mit ihrem Gewissen leben können. Was immer auch die Hermianer behaupten mögen: Überleben ist nicht alles.«
Er drückte den Rufknopf der Brückensprechanlage und sagte langsam: »Leutnant Rodrigo - ich würde Sie gern sprechen.«
Dann schloss er die Augen, hakte die Daumen in die Sicherheitsgurte seines Sessels und machte sich bereit, ein paar Augenblicke völliger Entspanntheit zu genießen.
Es würde möglicherweise geraume Zeit vergehen, bis ihm dies wieder vergönnt wäre.
40 Der Saboteur
Der Skooter war von allen unnötigen Gegenständen befreit worden; jetzt war er nur noch ein offenes Rahmenwerk, das die Antriebs-, Lenkungs- und Lebenserhaltungssysteme zusammenhielt. Selbst der Sitz für den Kopiloten war entfernt worden, da jedes Kilogramm an Extramasse mit Aktionszeit hätte bezahlt werden müssen.
Dies war einer der Gründe dafür gewesen, wenn auch nicht der einzige, warum Rodrigo darauf bestanden hatte, allein zu gehen. Die Aufgabe war dermaßen einfach, dass kein zweites Paar Hände eingesetzt werden musste, und das Gewicht eines zweiten Passagiers würde mehrere Minuten Flugzeit gekostet haben. So wie es jetzt war, konnte der Skooter mit mehr als einem drittel g beschleunigen; er konnte die Strecke von der Endeavour zu der Rakete in vier Minuten überwinden. Damit blieben sechs Minuten übrig, und das sollte eigentlich ausreichen.
Rodrigo blickte nur einmal zurück, nachdem er das Raumschiff verlassen hatte. Er sah, dass es sich, wie geplant, von der Mittelachse abgesetzt hatte und nun sacht über der wirbelnden Scheibe des Nordendes davon schwebte. Wenn er die Bombe erreichte, würde zwischen ihr und der Endeavour die Masse Ramas liegen.
Er ließ sich Zeit mit dem Flug über die Nordpolebene. Hier brauchte er sich noch nicht zu beeilen, da ihn die Kameras der Bombe noch nicht ausmachen konnten. Also konnte er Treibstoff sparen. Dann trieb er über den gebogenen Rand der Welt hinaus - und dort lag das Raketengeschoss vor ihm. Es blitzte hell in einem Sonnenlicht, das sogar noch schärfer war als jenes auf seinem Ursprungsplaneten.
Rodrigo hatte bereits die Lenkautomatikknöpfe gedrückt. Er aktivierte die Sequenz: Der Skooter trudelte auf seinen Gyros und hatte innerhalb weniger Sekunden vollen Schub erreicht. Zuerst schien ihn das plötzliche Gewicht erdrücken zu wollen, dann gewöhnte Rodrigo sich daran. Immerhin hatte er innerhalb Ramas ein zweifach höheres Gewicht ertragen - und schließlich war er auf der Erde geboren, wo es dreimal höher war.
Die gewaltige gekrümmte Außenwand des fünfzig Kilometer langen Zylinders fiel langsam unter ihm zurück, als der Skooter sich direkt auf die Rakete
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