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Rendezvous mit Übermorgen

Rendezvous mit Übermorgen

Titel: Rendezvous mit Übermorgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
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immer noch besser, als wenn ich vor Selbstmitleid zerfließe.
    »Und wozu seid Ihr sonst noch imstande, mein kleiner Prinz?«, fragte sie. »Was passiert, wenn ich die Nadel bei >C< einstecke?«
    Der Roboter aktivierte sich, ging ein paar Schritte und näherte sich schließlich ihrem linken Stiefel. Nach sehr langer Pause sprach »Prinz Heinrich« dann; nicht mit dem volltönenden Bühnenpathos wie vordem, sondern mit Richards durchaus unterkühlter britischer Stimme. »>C< bedeutet conversieren, o Freund, und mein Repertoire an Geschwätzigkeit ist beträchtlich. Aber natürlich spreche ich erst, wenn du mir ein Stichwort gibst.«
    Nicole lachte. »Wundervoll, Prinz, dann - sprich mir von Johanna, dem Mädchen aus Lothringen.«
    Der kleine Roboter zögerte, dann verzog er säuerlich das Gesicht. »Das war eine Hexe, teure Dame, und sie wurde ein Dezennium nach meinem Tode auf einem Scheiterhaufen zu Rouen verbrannt. Während meiner Regierungszeit hatten meine Heere den Norden Frankreichs unter Unsre, Englands, Oberhoheit gezwungen. Und diese französische Hexe, die behauptete, von Gott gesandt zu sein ...«
    Nicole hörte nicht mehr zu, sondern riss den Kopf in den Nacken, als ein Schatten über sie hinwegzog. Sie hatte den Eindruck, dass irgendetwas über das Dach der Scheune geflogen sein müsse. Ihr Herz hämmerte wild. »Hier bin ich!«, schrie sie mit aller Kraft. Hinter ihr monologisierte der Prinz immer noch weiter. Traurigerweise habe der Sieg dieser Jeanne d'Arc letztlich dazu geführt, dass seine Eroberungen doch wieder an das Königreich Frankreich gefallen seien. »Typisch. So verdammt typisch britisch«, sagte Nicole laut und schob erneut die Schaltnadel in das »AUS«-Loch des Prinzen.
    Sekunden später war der Schatten gewaltig geworden und verdunkelte den Grubengrund. Nicole blickte in die Höhe, und der Schrei erstickte in ihrer Kehle. Über der Grube schwebte mit weit gespannten schlagenden Schwingen ein riesiges vogelhaftes Geschöpf. Nicole kauerte sich unwillkürlich zusammen und konnte ihr Schreien nicht mehr zurückhalten. Das Wesen reckte den Hals in die Grube und gab eine Serie von Lauten von sich. Es klang krächzend, aber doch irgendwie musikalisch. Nicole war wie gelähmt. Das Geschöpf wiederholte noch einmal fast die gleiche Lautfolge und versuchte sodann - erfolglos, weil seine Flügelspannweite zu groß war - sich in der schmalen Grube niederzulassen.
    Während dieser knappen Periode von Ereignissen machte Nicoles traumatische Urangst einer ganz normalen Furcht Platz, und sie besah sich das mächtige fremde Flugwesen näher. Das Gesicht - abgesehen von einem Paar weich-wässriger Augen, leuchtendblau in einem braunen Ring-erinnerte Nicole an die pterodaktylischen Exponate, die sie im Naturgeschichtlichen Museum in Frankreich gesehen hatte. Der Schnabel war gebogen und ziemlich lang. Das Maul war zahnlos, und die beiden symmetrisch zum Rumpf stehenden Greifklauen hatten beide je vier scharfe Krallen.
    Das Gewicht des fliegenden Ungetüms schätzte Nicole auf gut hundert Kilo. Der Körper - mit Ausnahme von Gesicht und Schnabel, Schwingenenden und Greifklauen - war von einem dichten schwarzen, an Samt erinnernden Material bedeckt. Als dem Wesen aufging, dass es nicht auf den Grund der Grube gelangen konnte, stieß es zwei schrille Schreie aus, schwang sich empor und verschwand.
    Nicole bewegte sich erst einmal sechzig Sekunden lang überhaupt nicht. Dann setzte sie sich abrupt hin und versuchte, klar zu denken. Das durch die Angst ausgelöste Adrenalin zirkulierte noch immer heftig durch ihren Körper. Sie mühte sich, kühl und rational zu bewerten, was sie gesehen hatte. Zuerst dachte sie, es könnte sich um einen Bioten handeln, wie bei sämtlichen anderen bewegungsfähigen Wesen, die in Rama entdeckt worden waren. Aber wenn das ein Biot ist, dann ein extrem modernes Modell, dachte sie. Sie ließ die anderen Bioten vor ihrem geistigen Auge vorbeiziehen - die Krebs-Maschinen der Südlichen Hemisphäre und die vielfaltigen absurden Konstrukte, die während der Rama-I-Expedition gefilmt worden waren. Nein, Nicole konnte sich nicht dazu überwinden, dieses Flugding als biotische Maschine anzusehen. Da war so was gewesen ... in den Augen ...
    Dann hörte sie fernen Flügelschlag, und ihr Körper spannte sich. Sie kauerte sich eng in den verschatteten Winkel der Grube, und schon schirmte wieder ein gewaltiger schwebender Leib das einfallende Licht ab. Nein! Es waren zwei Leiber! Das erste

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