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Rendezvous mit Übermorgen

Rendezvous mit Übermorgen

Titel: Rendezvous mit Übermorgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
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und in meinem Bauch dich, mein wundervolles kleines Mädchen. Sie übersprang rasch in der Erinnerung die darauffolgenden angsterfüllten Wochen der Verlassenheit bis zu jenem verzweifelten Augenblick, da sie schließlich ihren Mut zusammennahm und mit ihrem Vater sprach.
    »Ich ... ich weiß nicht weiter«, hatte sie tastend zu Pierre gesagt; an jenem Septembermorgen im Salon der Villa in Beauvois. »Ich weiß, ich hab dich furchtbar enttäuscht - ich bin auch von mir enttäuscht ... aber ich möchte dich trotzdem fragen, ob es geht. Ich meine, wenn ich will, Papa, darf ich dann hier bei dir bleiben und versuchen ...«
    »Aber, Nicole, das ist doch selbstverständlich!«, hatte ihr Vater sie unterbrochen. Er weinte lautlos. Es war das erste Mal, dass Nicole ihn seit dem Tod der Mutter weinen sah. »Wir werden tun, was richtig ist.« Und er hatte sie fest in die Arme genommen.
    Ich hatte unendliches Glück, dachte Nicole. Er nahm es so großartig und gelassen hin. Er hat nie ein Wort des Tadels gesagt. Nie gefragt. Als ich ihm schließlich sagte, wer der Vater war, und - dass ich nicht niemals - wollte, dass irgendjemand sonst... am allerwenigsten Henry oder das Kind ... es erfahren sollte, versprach er mir, wir würden mein Geheimnis hüten. Und er hat es getan.
    Plötzlich flammte Helligkeit auf, und Nicole rappelte sich auf, um ihr Gefängnis unter diesen veränderten Bedingungen in Augenschein zu nehmen. Nur die Mitte des Lochs war beleuchtet, die Enden lagen im Schatten. Angesichts ihrer Situation fühlte Nicole sich erstaunlich fröhlich und optimistisch.
    Sie blickte zum Scheunendach hinauf und durch es hindurch in den konturlosen Rama-Himmel. Sie überdachte, was ihr in den letzten paar Stunden geschehen war, und gab einem plötzlichen Impuls nach. Mehr als zwanzig Jahre lang hatte sie nicht mehr gebetet, doch jetzt fiel sie in dem Stückchen Licht in ihrer Grube auf die Knie. Lieber Gott, sagte sie stumm, ich weiß, es kommt ziemlich spät, aber ich danke dir - für meinen Vater, für meine Mutter und für meine Tochter. Und für alle Wunder des Lebens. Sie warf einen Blick nach oben zur Decke; sie lächelte, und in ihren Augen blitzte ein Funkeln auf. Und, weißt du, grad momentan, lieber Gott, würde mir ein bisschen höhere Hilfe sehr nützlich sein.

38 Besuch
    Der kleine Roboter stapfte ins Licht und zog das Schwert aus der Scheide. Das Heer der Engländer hatte Harfleur in Frankreich erreicht.
    »Once more unto the breach, dear friends, once more,
    ( Noch einmal stürmt, noch einmal, liebe Freunde!)
    Or close the wall up with our English dead.
    ( Sonst füllt mit toten Engländern die Mauer.)
    In peace there's nothing so becomes a man
    ( Im Frieden kann so wohl nichts einen Mann)
    As modest stillness and humility:
    ( In Demut und bescheidne Stille kleiden,)
    But when the blast of war blows in our ears,
    ( Doch bläst des Krieges Wetter euch ins Ohr,)
    Then imitate the acdon of the Uger .. .«
    (Dann ahmt dem Tiger nach in seinem Tun ...)
    Heinrich V., der neue König Englands, feuerte weiter seine nichtexistierenden Truppen an. Beim Zuhören musste Nicole lächeln. Fast eine Stunde lang hatte sie Wakefields Biographie des »Prince Hai« verfolgt: von den wilden Exzessen seiner Jugend, auf die Schlachtfelder im Kampf gegen Hotspur und die anderen Rebellen, bis zur Thronbesteigung. Sie hatte nur einmal (und das vor vielen Jahren) alle drei »Heinrich«-Dramen gelesen, aber dank ihrer lebenslangen Begeisterung für Jeanne d'Arc kannte sie sich im historischen Umfeld recht gut aus.
    »Shakespeare hat dich zu etwas gemacht, das du niemals warst«, sagte sie laut zu dem Roboterchen, als sie sich niederbeugte, um Richard Wakefields Steuerzahnstocher in den Schlitz für »AUS« zu stecken. »Ein Krieger, das warst du bestimmt, und keiner würde das bestreiten wollen. Aber du warst zugleich auch ein eiskalter herzloser Eroberer. Unter deinem drückenden Joch hast du die Normandie ausgeblutet. Und du hast das Leben in Frankreich fast völlig erstickt.«
    Sie kicherte nervös-überreizt. Da knie ich und quassle auf einen zwanzig Zentimeter großen hirnlosen Ceramo-Prinzen ein. Sie dachte daran, wie hoffnungslos sie sich vor einer Stunde gefühlt hatte, als sie wieder einmal über einen Rettungsplan gegrübelt hatte. Dass ihre Zeit immer knapper wurde, begriff sie, als sie den beinahe letzten Schluck ihres Wasservorrats trank. Ach was , dachte sie und wandte sich wieder Wakefields Prinz Hai zu, das ist jedenfalls

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