Rendezvous mit Übermorgen
als sie in dem dunklen Raum ein Geräusch hörte. Sie griff nach innen und schaltete die Beleuchtung ein. Sie ertappte Francesca Sabatini, die in der Ecke über dem Computerterminal hockte. Auf dem Monitor vor ihr lief Infotext, und Francesca hielt eine dünne Phiole in der Hand.
»Oh, hallo, Nicole«, sagte Francesca, als sei es völlig normal, dass sie hier im Dunkeln im Pharma-Raum vor dem Computer sitze.
Nicole trat langsam an das Gerät heran. »Was gibt es denn?«, fragte sie beiläufig, während ihre Augen die Information auf dem Schirm überflogen. Aus den Leitcodes entnahm Nicole, dass Francesca eine Liste der an Bord des Raumschiffs mitgeführten Antikonzeptiva abgefragt hatte.
»Was soll denn das?«, fragte Nicole und wies auf den Monitor. Ihre Stimme klang nur ganz wenig gereizt. Es war ja schließlich allen Kosmonauten klar, dass außer dem Life Science Officer, dem verantwortlichen Exo-Biomediziner, niemand Zutritt zu diesem Raum hatte.
Als Francesca noch immer keine Antwort gab, wurde Nicole ärgerlich. »Wie sind Sie hier hereingekommen?« Sie waren in der kleinen Nische neben dem Terminal nur ein paar Zentimeter voneinander getrennt. Zwei Frauen. Spontan griff Nicole zu und nahm Francesca die Flasche aus der Hand. Als sie zu lesen begann, drängte Francesca sich an ihr vorbei und zur Tür hinaus. Nicole erkannte, dass die Flüssigkeit in ihrer Hand einen Schwangerschaftsabbruch auslösen konnte. Rasch folgte sie Francesca nach draußen.
»Möchten Sie mir das bitte erklären?«, bat Nicole. »Geben Sie mir einfach die Flasche, bitte«, sagte Francesca nach einer Pause.
»Das darf ich nicht.« Nicole schüttelte den Kopf. »Das hier ist ein sehr starkes Medikament mit schwerwiegenden Nebenwirkungen. Was hatten Sie denn vor? Wollten Sie es stehlen und meinten, das würde nicht bemerkt? Ich hätte doch sofort bei der nächsten Routineprüfung das Fehlen bemerkt.«
Sie blickten einander sekundenlang starr an.
»Hören Sie, Nicole«, sagte Francesca nach einer Weile mit einem gezwungenen Lächeln, »die Sache ist wirklich ganz einfach. Ich habe neulich zu meinem großen Kummer festgestellt, dass ich schwanger bin, noch im ganz frühen Stadium. Ich möchte abtreiben. Das ist eine Privatsache, und ich wollte weder Sie noch sonst jemanden von der Besatzung damit belästigen.«
»Aber Sie können nicht schwanger sein«, sagte Nicole. »Das hätte ich doch in Ihren Biometrie-Resultaten feststellen müssen.«
»Es ist erst vier, fünf Tage her. Aber ich bin sicher. Ich spüre bereits die Veränderungen in meinem Körper. Und es ist der richtige Zeitpunkt in meinem Zyklus.«
»Das korrekte Verfahren bei medizinischen Problemen ist Ihnen doch bekannt«, sagte Nicole nach kurzem Zögern. »Die Sache, um Ihren Ausdruck zu benutzen, wäre wirklich wahrscheinlich höchst einfach gewesen, wenn Sie sich vorher an mich gewandt hätten. Höchstwahrscheinlich hätte ich Ihrem Wunsch nach Diskretion voll entsprochen. Aber jetzt haben Sie mir ein Problem vor die Nase gesetzt...«
»Ach, hören Sie doch mit der Paragraphenpredigt auf!«, unterbrach Francesca heftig. »Mich interessieren die verdammten Vorschriften wirklich einen Dreck. Ein Mann hat mir ein Kind verpasst, und ich will den Fötus loswerden. Also, werden Sie mir jetzt die Flasche geben, oder muss ich einen anderen Weg suchen?«
Nicole war empört. »Sie sind wirklich verblüffend. Erwarten Sie tatsächlich, dass ich Ihnen das Medikament aushändige und mich still entferne? Ohne Fragen? Sie mögen ja mit Ihrem Leben und Ihrer Gesundheit so leichtfertig umgehen, aber ich werde das ganz gewiss nicht tun. Ich muss Sie zunächst untersuchen, mir Ihre Anamnese vornehmen, das Alter des Embryos bestimmen - erst danach könnte ich überhaupt erwägen , ob ich Ihnen dieses Medikament verordnen darf. Außerdem wäre ich gezwungen, Sie auf die ethischen und psychischen Weiterungen hinzuweisen ...«
Francesca lachte laut auf. »Verschonen Sie mich mit diesem Quatsch, Nicole. Ich hab keinen Bedarf für Ihre puritanischcalvinistische französische Provinzaristokratenmoral, die sich anmaßt, über mein Leben zu richten. Oh, ja, meine bewundernden Komplimente für Sie, dass Sie als Single ein Kind erziehen. Bei mir sieht es aber ziemlich anders aus. Der Vater meines Kindes hat absichtlich seine Pillen nicht genommen, weil er sich einbildete, wenn er mich schwängert, würde das meine Liebe zu ihm wieder auflodern lassen. Nun, er hat sich geirrt. Dieses Kind ist
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