Rendezvous um Mitternacht
Mädel«, sagte er schließlich.
»Bitte?«, fragte ich.
»Du kannst nicht erwarten, dass du deine Arbeit immer so machen kannst, wie es dir am angenehmsten ist. Wenn wir jeden abwimmeln, der nicht genau deine Kriterien erfüllt, gehen wir über kurz oder lang pleite.«
»Ich wusste nicht, dass wir so schlecht dastehen«, fauchte ich.
»Weil ich die Buchhaltung mache. Ich habe mich deinem Willen gebeugt, M.J., als du keine Anfragen für Seancen mehr annehmen wolltest, obwohl die, ehrlich gesagt, dafür verantwortlich waren, dass wir kontinuierlich schwarze Zahlen geschrieben haben. Du musst auch Kompromisse eingehen können. Freiberufler zu sein ist auch so schon hart genug, und darf ich dich daran erinnern, dass wir in einer der teuersten Städte des Landes leben?«
Ich gab keine Antwort, sondern starrte ihn nur wütend an. Anscheinend war heute M.J.-Strafpredigt-Tag.
Gilley ignorierte meinen Blick und fuhr fort. »Ich bitte dich, dringend darüber nachzudenken, was ich gerade gesagt habe. Und denk gründlich nach. Denn wenn du willst, dass ich mit im Geschäft bleibe, wirst du den Kunden gewisse Freiräume lassen müssen.«
»Ist es wirklich schon so weit?«, fragte ich, entsetzt, dass Gilley mit so harten Bandagen kämpfte.
»Ja, es ist so weit«, sagte er und stand auf. »Ich muss zu einem Treffen mit einer Gruppe von Maklern. Doc hat frisches Futter und Wasser. Ich rufe dich später an, dann können wir deine Verabredung morgen besprechen, und mit ›besprechen‹ meine ich, dass du deine MasterCard bereithältst, denn in deinem Schrank hängt nichts, was auch nur annähernd für so was geeignet wäre.«
»Gil –«, setzte ich an, um etwas zu sagen, was unsere Beziehung wieder ins Lot bringen würde.
Er ließ mich nicht ausreden. »Geh nach Hause und denk über meine Worte nach.« Und mit einem flüchtigen Kuss auf meinen Scheitel war er verschwunden.
Ich blieb noch eine Weile sitzen und fragte mich, warum heute die ganze Welt auf mir rumhackte. Dann beschloss ich, mir die schlechte Laune mit einem Spaziergang zu vertreiben. Ich winkte Mama Dell kurz zu, trat zur Tür hinaus und wanderte die wenigen Blocks von Arlington Center entlang.
Ohne richtig hinzusehen, betrachtete ich die Auslagen niedlicher Boutiquen und Souvenirläden, während meine Gedanken um die Gespräche des Vormittags kreisten. Zuerst mit Dr. Sable, dann mit Teeko und schließlich mit Gilley. Ich glaube, Gilleys Ultimatum warf mich am meisten aus der Bahn – nicht, dass ich ihm einen Vorwurf machen konnte.
Es ärgerte mich auch, dass er mit dem Geld recht hatte. Sollte Gil mich verlassen, wäre ich komplett aufgeschmissen – selbst bei meinem Scheckbuch wirkte er als ausgleichender Faktor. Was sollte ich ohne ihn anfangen?
Während mir die Gedanken durch den Kopf schwirrten, sah ich zu der Ladenfront, an der ich gerade vorbeiging, und blieb abrupt stehen. Im Schaufenster war ein atemberaubendes schwarzes Cocktailkleid ausgestellt. Ich kicherte heiser, denn es war sonnenklar, dass das Universum da gerade ein Spielchen mit mir trieb. Dann holte ich tief Luft und betrat den Laden.
Ein angenehm molliges junges Mädchen von höchstens neunzehn Jahren kam mir entgegen. »Hi!«, sagte sie eifrig.
»Guten Tag«, erwiderte ich.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Ich deutete hinter mich. »Dieses Kleid im Schaufenster. Könnte ich es mal anprobieren?«
»Klar! Welche Größe haben Sie, so 36?«
»Ungefähr.« Ich gratulierte mir innerlich zu meinem täglichen Jogging und meiner guten Futterverwertung.
»Das Kleid fällt klein aus, ich bringe Ihnen vorsichtshalber die 38.«
Pah. Kaum hatte man mal wieder einen Grund zum Freuen … »Sehr gut.« Ich spähte in der kleinen Boutique umher. »Wo kann ich mich …«
»Gleich da hinten.« Sie deutete auf einen Vorhang in der linken Ecke.
Drei Minuten später betrachtete ich mein Spiegelbild und befand, dass ich definitiv den Verstand verloren haben musste. Das Kleid war viel zu kurz. Und viel zu tief ausgeschnitten war es auch. Teeko würde so was, ohne zu zögern, anziehen, aber passte es zu mir? Da klopfte es an den Türrahmen der Umkleidekabine. »Kommen Sie klar?«
»Mhm …«, murmelte ich und zog dem Spiegel eine Grimasse.
Ohne Vorwarnung wurde der Vorhang beiseitegezogen, und die Verkäuferin streckte den Kopf herein. »Meine Güte! Sie sehen absolut irre aus!«, quiekte sie.
Ich zuckte bei der schrillen Tonlage zusammen. »Sie finden es nicht zu kurz?«
»Nie im Leben! Sie haben
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