Rendezvous um Mitternacht
Hals und wieder zurück. Ich musterte den Brotkorb und überlegte, ob ich ihm ein Brötchen an den spitzen Kopf werfen sollte, damit er seine Aufmerksamkeit wieder meinem Gesicht zuwandte. »Jedenfalls«, ich senkte den Kopf in sein Blickfeld, »wie ich schon sagte, mein Name ist M.J.«
Sein Blick streifte kurz meine Augen, dann flüchtete er wieder senkrecht nach unten in mein Dekolleté.
»Und Sie sind?«, fragte ich durch die Zähne. Ich stand kurz davor, die Flucht zu ergreifen.
»Von Ihrer Schönheit zu geblendet, um zu sprechen«, antwortete ein samtweicher Bariton über meiner linken Schulter.
Ich drehte mich um – und da stand Steven Sable und schmunzelte mich an. Er trug schwarze Hosen, ein schwarzes Seidenhemd und einen schwarzen Blazer. Gil und mein Papagei hatten recht: Er war zum Anbeißen. »Hallo«, sagte ich und blickte von ihm zu der Schildkröte und zurück.
»Sind Sie hier mit jemandem verabredet, der von Mama Dell kommt?«, fragte er mit demselben verschmitzten Schmunzeln.
»Sie sind es, den ich hier treffen soll?« Hastig stand ich auf, und eine Woge der Erleichterung überkam mich, als mir klar wurde, dass ich keine Minute länger die Gesellschaft der Schildkröte ertragen musste.
»Ja«, sagte Steven. »Und ich glaube, diese Dame dort ist die Ihre.« Er deutete hinter sich auf eine Frau mit blondem Pagenschnitt und dunkelgrüner Bluse.
Die Schildkröte sah von mir zu der Blonden und sagte zu Steven: »Macht nichts. Die hier gefällt mir besser.«
Die Blonde zog ein beleidigtes Gesicht, also verlor ich keine Zeit und packte sie am Arm, ehe sie sich auf dem Absatz umdrehen konnte. »Mann, der ist so eine Stimmungskanone! Wollen Sie einen tollen Abend oder nicht? Setzen Sie sich nur hin, schauen Sie, ich habe Ihnen den Platz schon vorgewärmt. He, man merkt so richtig, wie es zwischen Ihnen beiden knistert. Und Sie wissen, dass der Wein hier erste Klasse ist? Am besten bestellen Sie sich eine Flasche … für jeden.«
Damit packte ich Stevens Hand und zog ihn mit zu Estevan.
»Senorita«, erklärte der, »es tut mir wirklich leid. Ich wusste nicht, dass Mama heute Abend zwei Paare herbestellt hat.«
»Kein Problem, Estevan, machen Sie sich keine Sorgen. Wir brauchen jetzt nur noch einen Tisch, am liebsten so weit wie möglich von den beiden entfernt.«
»Si, si. Kommen Sie hierher ans Fenster, damit man draußen sieht, welch strahlende Schönheit mein Restaurant besucht.«
Eine Minute später saßen wir endlich komfortabel an einem Tisch vor einem großen Panoramafenster. Estevan war fortgeeilt, um uns eine Flasche Wein aufs Haus zu kredenzen. Das war der Augenblick, da mir klar wurde, dass ich nicht wusste, wie es jetzt weitergehen sollte. Eine Zeit lang saßen wir stumm da, studierten die Speisekarte und warfen uns immer wieder verstohlene Blicke zu. Ich weiß nicht, warum ich es nicht schon gestern Morgen bemerkt hatte, aber Steven hatte ein unglaublich attraktives Gesicht: markante Kinnpartie, volle Lippen und fantastisch lange, dunkle Wimpern. Während ich seinen Anblick in mich aufnahm, kam mir unwillkürlich die Frage, warum dieser wohlhabende, gut aussehende Arzt es nötig hatte, sich auf diese Art verkuppeln zu lassen. Er sah aus, als könnte er an jedem Finger eine haben.
Er ertappte mich dabei, wie ich ihn nachdenklich musterte. »Wollen Sie mich etwas fragen?«
»Nein«, sagte ich rasch und senkte den Blick wieder auf meine Speisekarte. Eine Sekunde später gab ich zu: »Oder … ja, doch.«
»Ich höre«, sagte er, den Blick seinerseits auf die Karte gerichtet.
»Es ist nur, dass Sie alles andere als der Typ Mann sind, der Mama Dells Dienste braucht.«
Er klappte seine Speisekarte zu und legte sie vor sich hin. »Warum, wenn ich fragen darf?«
Ich machte eine Handbewegung zu ihm hin. »Haben Sie sich schon mal angeschaut?«
»Jeden Morgen im Badezimmerspiegel«, erklärte er nüchtern.
»Sie wissen, was ich meine. Laufen Männern wie Ihnen die Frauen nicht scharenweise nach?«
»Männern wie mir?«
»Ja. So reichen, gut aussehenden Ärzten, verstehen Sie?«
Steven lachte in sich hinein und fuhr sich mit der Hand durchs schwarze Haar. »Also haben Sie den Eindruck, dass ich … wie sagt man hier … keine abkriege?«
Ich starrte ihn ziemlich lange wortlos an. War das mein Eindruck? »Nein«, sagte ich und schloss auch meine Karte. »Ich dachte nur, dass Sie so etwas als Zeitverschwendung betrachten würden, wo Sie doch genauso gut …«
»M.J., ich
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