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Rendezvous um Mitternacht

Rendezvous um Mitternacht

Titel: Rendezvous um Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Laurie
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Bescheidenheit«, sagte ich schneidend. Mir kam die Galle hoch. Es war mir völlig egal, ob der Typ zum Anbeißen war. Momentan kam er mir vor wie eines von den Appetithäppchen, die auf einem Büffet total dekorativ wirken, aber sobald man sie probiert hat, will man sie nur noch so schnell wie möglich in eine Serviette spucken, ohne die Gastgeberin auf sich aufmerksam zu machen.
    »Das hat nichts mit Bescheidenheit zu tun«, erwiderte Steven. »In meinem Land haben Frauen wie Sie einen schlechten Ruf. Was Sie tun, ist Jahrmarktszauberei, mit der dumme Leute ausgenommen werden. Gebildete Menschen wie ich würden nie auch nur daran denken, so jemanden anzustellen. Und ich erwäge das nur, weil ich nicht weiterweiß. Sie wollen für mich arbeiten? Dann brauche ich einen Beweis Ihrer Fähigkeiten, bevor ich zustimme.« Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Der misstrauische Blick, den er mir zuwarf, ließ schon ahnen, dass er entschlossen war, mich mit Argusaugen zu beobachten, um mich bei einer eventuellen Betrügerei zu ertappen.
    Ich merkte, dass ich den Mund leicht geöffnet hatte, während er mir zu verstehen gab, dass er mich mit Schwindlern und Bauernfängern in einen Topf warf, und klappte ihn schnellstens zu. »Erstens«, begann ich mit gefährlich leiser Stimme, »bin ich keine Wahrsagerin vom Jahrmarkt. Ich habe ein seriöses Unternehmen, das ich aufgrund einer Gabe betreiben kann, die nur sehr wenige Menschen besitzen. Zweitens, und das ist noch weitaus wichtiger«, sagte ich und stieß ihm den Zeigefinger vor die Brust, »bestimmen nicht Sie die Regeln, Doc, sondern ich.«
    Damit stand ich auf und schleuderte die Serviette auf den Tisch. Ich war drauf und dran, mich auf dem Absatz umzudrehen, da gewann meine gekränkte Berufsehre die Oberhand. Nach einem Augenblick des Zögerns, in dem ich mein inneres Gespür »anschaltete«, knurrte ich: »Sie wollen einen Beweis? Na gut, da haben Sie ihn: Ein gewisser Miguel meint, dass es dumm von ihm war, in dem Fluss schwimmen zu wollen, als die Strömung so stark war. Er sagt, er mache Ihnen keinen Vorwurf, dass Sie nicht hinterhergesprungen sind, um ihn zu retten. Es sei schon richtig gewesen, dass Sie stattdessen versucht haben, Hilfe zu holen, weil Sie sonst auch ertrunken wären. Sie hätten ihn nicht allein rausziehen können.
    Und eine gewisse Rita amüsiert sich darüber, was Sie mit irgendeinem christlichen Gegenstand gemacht haben. Als sie noch lebte, war sie deswegen ziemlich entsetzt, aber inzwischen versteht sie, was daran witzig ist, und kann auch darüber lachen.«
    Ich beendete die kleine Demo, indem ich mit schwungvoller Geste meine Handtasche nahm. Als ich im Gehen zurückschaute, war ich höchst befriedigt über Stevens entsetztes Gesicht. »Wollen Sie immer noch mein Zeugnis sehen?«
    Er antwortete nicht.
    »Dann halt nicht«, erklärte ich und rauschte davon.

3
     
     
    Draußen war es kalt, und der Wind hatte aufgefrischt. In der Luft hing Feuchtigkeit, die tief hängenden Wolken waren unheilvoll dunkelgrau. Hastig zog ich mir den Mantel über, schnallte den Gürtel eng um die Taille und schlug den Kragen hoch. War nur zu hoffen, dass ich es vor den ersten Regentropfen nach Hause schaffte. Aber schon beim nächsten Schritt blieb ich mit dem Absatz in einem Riss im Bürgersteig hängen, und als ich versuchte, ihn rauszuhebeln, brach er ab. »Verfluchter …«, zischte ich und hob ihn auf. »Warum? Warum immer ich?« Düster steckte ich den Absatz in die Manteltasche und sah mich nach einem Taxi um. Natürlich war weit und breit keines zu sehen. »Mist, Mist, Mist«, fauchte ich vor mich hin und begann entschlossen die Straße entlangzuhinken, acht Zentimeter hoch, acht Zentimeter runter, acht Zentimeter hoch … Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, arbeitete sich mein Kleid bei dieser Art von Fortbewegung noch viel schneller nach oben als auf dem Hinweg, sodass ich bei diesem Hüpfgang auch noch permanent an meinem Saum zog. Es muss bescheuert ausgesehen haben.
    Ich war vielleicht hundert Meter weit gekommen, als ich aus den Augenwinkeln ein Auto wahrnahm, das langsam dicht hinter mir herfuhr. Mit einem raschen Blick erkannte ich den schwarzen Aston Martin. Sofort schaute ich stur geradeaus auf den Bürgersteig, konzentrierte mich auf meine wechselnde Tritthöhe, hielt unauffällig mein Kleid fest und merkte, wie ich über und über rot anlief.
    »M. J.!«, hörte ich Steven aus dem Auto rufen.
    »Verschwinden Sie!«, rief ich und ging

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