Rendezvous um Mitternacht
weiter.
»Darf ich Ihnen anbieten, Sie mitzunehmen?«
»Sie – sollen – verschwinden«, wiederholte ich grimmig mit zusammengebissenen Zähnen.
Zu meiner Schmach hörte ich ihn leise lachen. »Es wird gleich anfangen zu regnen.«
Just in dem Moment, als er den Satz beendete, zuckte über den Himmel ein grelles Licht, und das Krachen des Donners ließ mich buchstäblich einen Satz machen. Ich warf einen Blick auf Steven, dann nach oben und fauchte aufgebracht, hinkte aber weiter.
»Sie werden gleich nass«, drängte er, weiterhin auf einer Höhe mit mir. »Soll ich Sie wirklich nicht heimfahren?«
Ich schenkte ihm den finstersten Blick, zu dem ich fähig war. »Wenn Sie den morgigen Tag noch erleben wollen, Sable, legen Sie den nächsten Gang ein und verpissen sich.« Da öffnete der Himmel seine Schleusen. Der Regen prasselte nur so herab. Ich stieß einen Schrei aus, zog mir den Kragen so weit wie möglich ins Gesicht und hielt nach einem Vordach Ausschau, das einigermaßen Schutz bot. Gerade erspähte ich eines weit hinter der nächsten Querstraße, da setzte der trommelnde Regen vor meinem Gesicht plötzlich aus, und ich merkte, dass jemand neben mir stand. Es war Steven, der einen Regenschirm über mich hielt und mich breit angrinste. »Kommen Sie, ich bringe Sie nach Hause.«
Ich warf einen Blick auf sein wartendes Auto und dann auf das unsäglich weit entfernte Vordach. Ich war nass, mir war kalt, und bis nach Hause waren es noch drei ganze Blocks. Ganz zu schweigen davon, dass ich am Fuß eine Blase von den Ausmaßen Texas’ hatte.
Ich gab auf. »Na gut.«
Steven öffnete die Beifahrertür und wartete, bis ich mich gesetzt hatte. Dann schloss er sie und ging zur Fahrerseite. Mit einem Anflug von Dankbarkeit stellte ich fest, dass die Sitze geheizt waren.
Kaum hatte Steven sich gesetzt, erklärte ich: »Ich wohne gleich dort vorn. Fahren Sie einfach geradeaus, und halten Sie auf der linken Seite vor dem Klinkerhaus neben dem Feuerwehrdepot.«
Steven ließ seinen Sicherheitsgurt einrasten. »Schnallen Sie sich an.« Er wartete, bis ich genervt stöhnend den Sicherheitsgurt anlegte. Eine Sekunde später glitten wir ziemlich flott die Straße entlang, und ich fing schon an, mich zu entspannen, als wir an meinem Haus vorüberfuhren.
»He!«, schrie ich und deutete hinter uns. »Da muss ich raus!«
»Ja, das sagten Sie vorhin.«
»Halten Sie an!«, schimpfte ich.
»Ich habe einen besseren Entschluss gefasst.«
»Besser? Was bitte soll besser sein, als mich nach Hause zu bringen?«
»Sie mit zu mir zu nehmen.«
»Was?!«
»Sie mitzunehmen, Ihnen ein Abendessen zu kochen und mich für mein Verhalten in dem Restaurant zu entschuldigen.«
Ich war sprachlos. Mit großen Augen und offenem Mund starrte ich ihn an. Mir schössen verschiedene Erwiderungen durch den Kopf, aber keine kam mir so richtig passend vor. Ich beließ es bei: »Oh.«
Eine Viertelstunde später waren wir in einem Teil von Boston, in dem die Immobilienpreise in schwindelerregender Höhe lagen. Schließlich hielten wir vor einem stilvollen Sandsteinhaus, das strahlte wie ein Weihnachtsbaum. Da drinnen herrschte Festbeleuchtung, und einige Vorhänge waren zurückgezogen, sodass man auch etwas von der schönen Einrichtung sehen konnte.
»Wir sind da«, sagte er leichthin, dann fiel sein Blick auf meine Füße. »Sie haben einen Absatz verloren.«
»Sie merken auch alles«, sagte ich trocken und stieg aus. Dann nahm ich den Schirm, während Steven die Eingangstür aufschloss und mir aufhielt, damit ich rauf-runter-rauf-runter in sein Haus humpeln konnte.
Schon im Foyer stockte mir der Atem. Es war wunderschön. Beim Anblick des weißen Marmorbodens, der goldgelb gestrichenen Wände und der aparten Zierleisten wurde mir klar, dass Steven einen exzellenten Geschmack hatte. Auf einer Konsole stand eine dekorative Vase, und eine Treppe mit Edelstahlgeländer führte nach oben in den ersten Stock.
»Gefällt es Ihnen?«, fragte Steven. Ein selbstsicheres Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
»Kann man lassen.« Ich gab mir Mühe, unbeeindruckt zu wirken. »Aber ich würde gern mal Ihre Stromrechnung sehen. Sie lassen scheinbar sämtliche Lampen brennen.«
Steven nahm mir den Mantel ab, hängte ihn in den Garderobenschrank und entledigte sich dann seines eigenen. »Es wurde vor Kurzem eingebrochen. Die Polizei meinte, eine gute Beleuchtung würde schrecklich wirken.«
Ich lächelte. »Abschreckend.«
»Ja, ja«, winkte Steven
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