Rendezvous um Mitternacht
unbehaglichen Blick. »Die Beiträge liegen bei über fünfhundert Dollar im Monat«, gestand Gil. »So eine Ausgabe können wir uns derzeit nicht leisten.«
»Wie viel würde es denn kosten?«, fragte ich und versuchte im Geiste abzuschätzen, was ich aus meiner Karte noch rausschlagen konnte.
»Darum fragte ich, ob du versichert bist. Bei einer solchen Verletzung würde man dich röntgen und dich wahrscheinlich ins Bett legen. Das würde dich einen … wie sagt ihr hier … einen Großen?«
»Einen Riesen«, ächzte ich.
»Ja, einen Riesen kosten, und das Ergebnis wäre dasselbe. Ich denke, ich schreibe dir ein Rezept für Schmerztabletten, und wir fahren dich zu Helen ins Bett.«
»Wie lange muss ich denn im Bett bleiben?«
»Bis der Schmerz so weit vergangen ist, dass du dich frei bewegen kannst. In vier bis sechs Wochen ist alles wieder gut.«
»Vier bis sechs Wochen? Das geht nicht! Am Freitagabend muss ich auf der Matte stehen, da geht’s rund!«
»Mit wem?«, fragte ich. Außer Bradley, den Gilley mit der Feuerwehrübung aus seinem Leben gejagt hatte, wusste ich nichts von derzeitigen heißen Projekten.
»Weiß ich noch nicht!«, knurrte er. »Aber wie soll ich das rausfinden, wenn ich nicht laufen kann?«
Ich tätschelte ihm mitfühlend den Rücken. »Bringen wir ihn ins B & B«, sagte ich zu Steven. »Dann kommen wir beide wieder her.«
»Das ist nicht dein Ernst!«, rief Gilley. »M. J., hier ist es viel zu gefährlich! Irgendwas hat mich da runtergestoßen!«
Ich warf einen Blick aufs Haus. Ich hätte schwören können, dass hinter dem Flurfenster ein dunkler Schatten vorüberzog. Dann sah ich Steven an.
»Ich bin noch dabei«, sagte er fest.
Ich verbarg meine Erleichterung, so gut ich konnte. Es gab Häuser, in denen selbst ich nervös wurde, und dieses gehörte allmählich dazu. »Gut. Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es noch vor dem Dunkelwerden.«
»Das ist ein Wort. Kannst du mir helfen, ihn in den Wagen zu bringen?«
Wir legten Gilley auf den verschwenderisch mit Kissen gepolsterten Rücksitz. Während der Fahrt brummte er etwas von mordlustigen Poltergeistern. Helen-erklärten wir, Gilley sei auf der Treppe gestürzt (wir wollten sie nicht beunruhigen), dann brachten wir ihn auf sein Zimmer, und damit er sich nicht langweilte, stellte ich ihm Doc neben das Bett. Steven fuhr derweil zur Apotheke.
»M. J.«, sagte Gilley, als ich Anstalten machte, das Zimmer zu verlassen.
»Ja?«
»Mir ist dieser Auftrag überhaupt nicht geheuer.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Ich bin vorsichtig.«
Nicht lange darauf kam Steven zurück und gab Gil eine Schmerztablette. Als wir sicher waren, dass er gut versorgt war, stiegen wir wieder in den Van.
Eine Weile fuhren wir schweigend dahin. Dann fragte Steven: »Hast du so etwas schon jemals erlebt?«
»Ja«, erwiderte ich. »Und ich habe von vielen Leuten gehört, die von Geistern die Treppe hinuntergestoßen oder zum Stolpern gebracht wurden. Das ist nicht so selten, wie man vielleicht denkt.«
»Also können Geister doch gefährlich sein?«
Ich nickte. »Durchaus. Deshalb ist es ja gut, jemanden wie mich zu haben. Wenn ein Poltergeist wütend ist, kann er die Wut so kanalisieren, dass er physische Objekte beeinflussen kann. Ich hatte einmal einen Fall mit einer Mutter, die völlig panisch war, weil ihr Sohn die Kellertreppe runtergestoßen worden war. Es stellte sich heraus, dass in dem Haus ein kleiner Junge spukte, der auf den Sohn eifersüchtig war. An dem Kleinen hatte ich echt was zu knabbern, aber schließlich hab ich ihn erwischt.«
»Weißt du, was seltsam ist?«, fragte Steven. »Maria ist vor fünfundzwanzig Jahren auch die Treppe hinuntergefallen. Da waren meine Mutter und ich gerade zum ersten Mal aus Argentinien hier. Maria sprach Spanisch, also konnte sie mir erzählen, dass sie mit einem Korb voll Wäsche die Treppe hochgestiegen war und gefühlt hatte, wie etwas an ihr zog.«
»Wart ihr schon da, als sie fiel?«
»Nein, wir kamen ein paar Tage später. Sie hatte eine Hüftfraktur. Mein Großvater machte ihr ein Bett im Arbeitszimmer. Er hat sich den ganzen Sommer um sie gekümmert. Das war wirklich nett.«
»Das wirft natürlich ein ganz anderes Licht auf die Sache«, sagte ich.
»Was für ein Licht?«
»Wenn Gilley von demselben Poltergeist geschubst wurde wie Maria … Ich schwöre, es war eher eine weibliche Energie, die ich da oben gespürt habe. Mit anderen Worten: Vor fünfundzwanzig Jahren war ganz bestimmt nicht
Weitere Kostenlose Bücher