Rendezvous
auf den Inhalt werfen zu können. Sie sah augenblicklich, dass die Seiten mit Handschrift bedeckt waren. »Das ist so eine Art privates Tagebuch, irgendwelche Aufzeichnungen.«
»Ja, genau.«
»Mach langsamer. Du blätterst die Seiten zu schnell um. Ich kann nichts lesen.«
»Selbst wenn du etwas lesen könntest, bezweifle ich, dass du den Sinn verstehen würdest. Die Aufzeichnungen sind kodiert. Sie sind in einem alten Code geschrieben, der schon vor langer Zeit geknackt worden ist.«
»Wirklich? Kannst du es lesen? Hat es was mit meinem Bruder zu tun? Was glaubst du, was dort steht, Harry?«
»Bitte, Augusta, sei still. Setz dich hin, und lass mir ein paar Minuten Zeit, um es mir näher anzusehen. Ich habe schon seit einer ganzen Weile nichts mehr mit diesem speziellen Code zu tun gehabt.«
Augusta gehorchte. Sie setzte sich hin, blieb ganz still sitzen und hatte die Hände im Schoß gefaltet, während sie begierig die Resultate ihrer Nachforschungen abwartete.
Harry ging wieder um seinen Schreibtisch herum und setzte sich. Er schlug den Band auf und vertiefte sich mit konzentriertem Gesichtsausdruck darin. Er blätterte die Seite um, dann die nächste. Schließlich warf er einen Blick auf ein paar Seiten gegen Ende des Buches.
Nach einer qualvoll langen Zeitspanne schlug er das Buch zu und hob den Blick, um Augusta in die Augen zu sehen. In seinem Blick stand neuerliche Kälte, eine eisige Kühle, die über alles hinausging, was sie je in diesen kristallgrauen Augen gesehen hatte.
»Was ist, Harry?« flüsterte sie.
»Es scheint sich um eine Aufzeichnung von kodierten Nachrichten zu handeln, die während des Kriegs durch diverse Boten übermittelt worden sind. Ich erkenne einige der erwähnten Nachrichten, da meine Agenten sie abgefangen haben und ich sie dechiffriert habe.«
Augusta zog die Stirn in Falten. »Aber was hat das mit meinem Bruder zu tun?«
»Das hier ist ein sehr persönliches Tagebuch, Augusta.« Harry strich sachte über den Band. »Private Aufzeichnungen, die für die Augen keines anderen als den bestimmt waren, der sie geschrieben hat.«
»Aber wer könnte das gewesen sein? Weißt du es?«
»Nur ein einziger Mann kann von all diesen Nachrichten gewusst haben, und nur ein einziger Mann kann die Namen all dieser Kuriere und französischen Agenten gekannt haben, die zu Beginn aufgelistet sind. Diese Aufzeichnungen müssen früher einmal der Spinne persönlich gehört haben.«
Augusta geriet allmählich in Panik. »Aber, Harry, was hat das mit meinem Bruder zu tun ?«
»Es scheint ganz so, Augusta, wenn man sich diese Aufzeichnungen hier ansieht und einige andere Indizien heranzieht, als versuchte jemand, uns zu sagen, dass dein Bruder die Spinne war.«
»Nein, das ist ausgeschlossen.« Augusta sprang abrupt auf. »Was du sagst, ist gelogen.«
»Bitte, setz dich, Augusta«, sagte Harry mit ruhiger Stimme.
»Ich denke gar nicht daran, mich zu setzen.« Sie trat einen Schritt vor, stemmte die Handflächen auf die Schreibtischplatte und wollte ihn mit reiner Willenskraft dazu zwingen, ihr zu glauben. »Mir ist egal, wie viele Beweise du mir vorlegst. Hast du gehört? Mein Bruder war kein Verräter. Graystone, du musst mir glauben. Kein Northumberland-Ballinger würde je sein Land verraten. Richard war nicht die Spinne.«
»So, wie die Dinge stehen, bin ich geneigt, dir zuzustimmen.«
Augusta setzte sich abrupt hin, denn sie war vollständig benommen, weil er Richards Unschuld so bereitwillig akzeptierte, obwohl doch alle Beweise gegen ihn sprachen. »Du bist meiner Meinung? Du glaubst nicht, dass diese Aufzeichnungen Richard gehört haben? Das ist nämlich ganz bestimmt nicht der Fall. Es ist nicht seine Handschrift. Ich schwöre, dass es nicht seine Handschrift ist.«
»Die Handschrift beweist gar nichts. Ein intelligenter Mann hätte ganz bestimmt für diese Zwecke, nämlich derart gefährliche Aufzeichnungen niederzuschreiben, einen einzigartigen Stil entwickelt.«
»Aber, Harry...«
»Es ist aber so«, schnitt ihr Harry sachte das Wort ab, »dass es andere Gründe gibt, die es mir schwer, wenn nicht gar regelrecht unmöglich machen zu glauben, dass dein Bruder die Spinne war.«
Augustas Gesicht verzog sich langsam zu einem Lächeln, denn sie nahm eine Woge grandioser Erleichterung wahr. »Das freut mich, Harry. Ich danke dir dafür, dass du an seine Ehre glaubst. Ich kann dir gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet. Ich werde dir deine Güte in diesem Punkt nie
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