Renegade
und bringt mein Herz
zum Schmelzen, indem er sagt: » Ich brauche dich .«
Ich schlieÃe die
Augen und schmiege mich an seine Hand. »Na gut, aber wenn ich dich umbringe,
ist das ganz allein deine Schuld.«
»Du wirst mich nicht
umbringen, niemals«, erklärt er so überzeugt, dass ich ihm fast glauben könnte.
Dann geht er zu den
Fahrstühlen, die uns in das Stockwerk bringen sollen, in dem sich die U-Boote
befinden. Verunsichert bleibe ich stehen. Ich wünschte, ich könnte so viel
Vertrauen in mich setzen, wie er es tut. Als er bemerkt, dass ich mich nicht
gerührt habe, dreht er sich zu mir um. »Kommst du?«
Gavin steht im Licht
der roten Notbeleuchtung. Es sieht aus, als wäre er über und über mit Blut
bedeckt. Hoffentlich ist das keine Vorahnung. Ich nicke knapp und schlieÃe
hastig zu ihm auf.
Je weiter wir in
Sektor Drei vordringen, umso ruhiger werde ich, und umso stärker bin ich davon
überzeugt, die Sache meistern zu können. Anscheinend haben wir beide unsere
Angst vor Mutter abgelegt â doch in meinem Fall frage ich mich insgeheim, ob
das an der zunehmend erstarkten Konditionierung liegt.
Gleichzeitig gehen
mir Mutters Worte nicht aus dem Kopf. Insbesondere als Gavin mich kurz an der
Schulter berührt, während wir in der Fahrstuhlkabine in das oberste Stockwerk
rasen â eng zusammengepfercht, ohne jede Fluchtmöglichkeit. Wieder steigt
überwältigender Hass in mir auf. Er hat mich berührt, dafür würde ich ihn am
liebsten erwürgen. Und dafür, dass meine Nerven seinetwegen kribbeln wie
Ameisen.
Mühsam wende ich
mich von ihm ab, ich darf ihn jetzt nicht ansehen. Ich muss mir ins Gedächtnis
rufen, was wir alles zusammen durchgemacht haben. Und dass allein Mutters
Programmierung diese Reaktion in mir auslöst. Sie ist nicht echt. Doch in
diesem Moment fällt es mir schwer, mich an meine wahren Gefühle zu erinnern.
Inzwischen passiert das so häufig â dieser brennende Hass auf Gavin, der mich
immer wieder überfällt. Er hält nur wenige Sekunden an, ist aber mit jedem Mal
stärker.
Dazu kommt, dass ich
das Gefühl habe, immer vergesslicher zu werden. Zum Beispiel als ich vor dem
Zugang zu Sektor Eins in die falsche Richtung ging. Oder als mir nicht mehr
einfiel, wo die Atemgeräte aufbewahrt werden und ob man sie mit dem roten oder
mit dem grauen Knopf aktiviert. Und jetzt kann ich mich nicht mehr daran
erinnern, wie genau wir zu den Booten kommen. Ich werde mich wohl auf Gavin verlassen
müssen, der das Tagebuch in der Hand hält.
Da ich ihn nicht
beunruhigen will, tue ich so, als würde ich ihn vorangehen lassen, damit er
mich besser beschützen kann. Wobei ich sicherlich auch deswegen so verwirrt
bin, weil ich noch niemals in diesem Teil der Stadt war. Hier ist es völlig
anders als in Sektor Zwei â alles ist so schmutzig und schäbig. Die Betonwände,
die normalerweise die Farbe von Zinn haben, sind hier mit einer Art RuÃ
bedeckt. Als ich einen Finger über die Wand gleiten lasse, ist er hinterher mit
diesem schwarzen Zeug bedeckt. Die Substanz ist klebrig und fettig, offenbar
irgendein Schmiermittel. Ich rieche daran und verziehe angewidert die Nase. Ãl.
Plötzlich erinnert
dieser Geruch mich an jemanden. An einen Jungen, ungefähr in meinem Alter.
Blond, blaue Augen. Raue, kräftige Hände. Stark.
Ein perfekter Verehrer.
Ich
bin mir ganz sicher, dass ich ihn kenne. Doch sein Name entzieht sich mir,
bevor ich ihn festhalten kann, stattdessen erscheint vor meinem inneren Auge
das Bild eines Windspiels. Dann verdrängt eine weitere Erinnerung das
Windspiel, und mein versonnenes Lächeln erlischt. Schmerz
und Blut. Sehr viel Blut. Ich starre auf meine Hände, doch nun klebt
nicht mehr die ölige Substanz daran, sondern eine rote Flüssigkeit. Keuchend
wische ich sie wieder und wieder an meinem Kleid ab, doch es hilft nichts, denn
auch der Stoff ist voller Blut.
Gavin, der ein paar
Schritte vorausgegangen ist, dreht sich zu mir um. »Alles in Ordnung?«
Die Vision
verblasst, und ich sehe ihn verwirrt an. Was wollte ich gerade tun?
Stirnrunzelnd kommt
Gavin zu mir zurück. »Bist du okay, Evie?«
Ich nicke langsam.
»Mein Leben ist absolut
perfekt.«
Ruckartig zieht er die Augenbrauen hoch, sagt jedoch
nichts. Sanft küsst er meine Hand. Die zarte Berührung vertreibt meine
Benommenheit. Stirnrunzelnd sehe ich ihn an.
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