Renegade
Erinnerungsfetzen
durch mein Gedächtnis huschen. Ich hole tief Luft und atme ein paar Mal ein und
aus, um mich wieder zu beruhigen. Erst dann gelingt es mir, die Angst beiseitezuschieben
und die Tür zu öffnen. Doch selbst jetzt bleibe ich wie erstarrt stehen und
kann mich nicht überwinden, das Zimmer zu betreten.
Es ist ein ziemlich
groÃer Raum, ungefähr doppelt so groà wie mein Zimmer. Die Wände schmücken edle
Seidentapeten â auÃer in der Nische auf der linken Seite, in der Mutters
Computer und Hologrammausrüstung stehen. Gegenüber davon befindet sich das
groÃe Himmelbett mit den beiden kunstvoll gestalteten Nachttischchen. Das Bett
ist tadellos gemacht, und weder auf dem Schreibtisch noch auf den Nachttischen
findet sich irgendein Gegenstand. Mutter toleriert keinerlei Schlampigkeit oder
Unordnung. Neben der Tür steht ihr Frisiertisch, doch im Gegensatz zu meinem,
auf dem diverse Parfumflaschen, Make-up-Tiegel und Tübchen herumliegen, gibt es
hier neben ausgesuchten Flakons nur einen Kamm, eine Bürste und einen Handspiegel.
Die Wand mir gegenüber besteht komplett aus Fensterglas und lässt sich
aufschieben. Dahinter befindet sich ein Balkon, der einen phantastischen
Ausblick auf den Lavastrom und den Ozean bietet. Dort nimmt Mutter gewöhnlich
ihr Frühstück ein. Allein, versteht sich.
Die Zeit wird knapp,
also zwinge ich mich, diesen einen Schritt zu machen, und betrete das Zimmer.
Als nichts passiert, schiebe ich die Tür so weit zu, dass sie nur einen schmalen
Spalt weit offen bleibt, damit ich hören kann, falls jemand kommt. Dann setze
ich mich an den Computer und starte ihn. AuÃer dem bläulichen Schein des
Monitors und dem orangeroten Glühen der Lava drauÃen brennt kein einziges Licht
im Zimmer.
Sobald er
hochgefahren ist, verlangt der Computer ein Passwort. Das versetzt mich in
Panik. Was soll ich jetzt tun? Ich kenne es nicht, deshalb bleibt nur eine
Lösung: Ich muss den Passwortschutz umgehen. Doch ein falscher Schritt, und
unsere Flucht endet in einer Reise zum Lavastrom â ohne Rückfahrschein. Ich
schlieÃe die Augen und atme tief durch, dann öffne ich die Lider und überlasse
meinem Instinkt die Führung. Trotzdem wage ich kaum zu atmen, während ich dem
Computer meinen Willen aufzwinge.
Meine Finger fliegen
wie von selbst über das holografische Tastenfeld, während mein Arm schmerzt und
pocht, aber ich traue mich nicht, eine Pause einzulegen. Ich kann mich nicht
daran erinnern, so etwas jemals zuvor gemacht zu haben, aber die Codes und
Zahlenfolgen scheinen bereits in meinem Gehirn abgespeichert zu sein und nur
darauf zu warten, dass ich sie jetzt einsetze. Irgendwoher weià ich, wie man
die Sicherheitsbarrieren eine nach der anderen auflöst, so ähnlich wie bei
einer Zwiebel, bei der man eine Haut nach der anderen abzieht. Noch eine
verlorene Erinnerung taucht am Rande meines Bewusstseins auf â aber ich habe
keine Zeit, um mich jetzt mit ihr auseinanderzusetzen. Denn mit jedem Schritt,
der mich weiter hinter dem Passwort entlangführt, wächst meine Sorge, dass der
Computer Mutter alarmieren könnte. Irgendwann bin ich schweiÃgebadet, doch
schlieÃlich erscheint der Desktop auf dem Holoscreen. Ich habe das Passwort
umgangen.
Erleichtert atme ich
auf und suche nach den DNA -Dateien. Ich rechne fest
damit, dass auch sie passwortgeschützt sein werden, und als ich sie schlieÃlich
finde, werde ich nicht enttäuscht. Entschlossen strecke ich meine Finger und
lasse die Gelenke knacken. Dazu wird es mehr Finesse brauchen. Falls ich
überhaupt an sie herankomme. Denn so wie ich Mutter kenne, hat sie die Dateien
inzwischen störungssicher gemacht.
Langsam und
sorgfältig knacke ich diverse Verschlüsselungen, bis ich schlieÃlich fast eine
halbe Stunde später eine Liste vor mir habe, in der jeder Bürger verzeichnet
ist, der jemals in Elysium gelebt hat. Inzwischen sind meine Finger steif,
Nacken und Gelenke schmerzen, und meine Schulter fühlt sich an, als würde
jemand Salz in die Wunde reiben. Als Tochter des Volkes habe ich während der
Antragstage immer auf genau diese Liste zurückgegriffen, wenn es um die Prüfung
von Verpaarungsanträgen ging. Der einzige Unterschied besteht darin, dass dies
die Masterdatei ist, die bearbeitet werden kann, während meine Liste stets
schreibgeschützt war. Dabei kommt mir ein Gedanke. Zunächst
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