Renegade
hastig das Foto am Spiegel des Frisiertisches. Es
zeigt eine blonde Frau, die vor einer Wand mit einer Art Loch darin sitzt â ich
glaube, das nennt man Kamin. Sie hält ein kleines Kind auf dem SchoÃ. Neugierig
drehe ich das Bild um. Auf der Rückseite steht: »Vergiss niemals.«
Mir bleibt keine
Zeit, dieses Rätsel zu lösen. Schnell verstecke ich den Datenwürfel in meinem BH , dann hole ich tief Luft, spähe auf den Gang hinaus
und schleiche so schnell ich kann zurück zu dem Serviceeinstieg, durch den ich
gekommen bin. Das Freudenfest ist zwar noch nicht vorbei, aber mein Gesicht ist
eben doch viel zu bekannt. AuÃerdem konnte ich mich noch nicht vergewissern, ob
die Selbstschussanlagen auch wirklich nicht mehr auf meine DNA reagieren. Und das sollte ich besser nicht
ausprobieren, wenn dabei Unschuldige verletzt werden könnten. Ich halte mich
genau an den Weg, der mich hierhergeführt hat, muss allerdings einmal einen
Umweg machen, als ich die Stimmen einiger Angestellter höre. Sie scheinen es
eilig zu haben. Unwillkürlich frage ich mich, ob sie verspätet zum Freudenfest
gehen oder auf der Suche nach mir sind.
Da die Servicetunnel
mir im Vergleich zum ersten Mal fast schon vertraut erscheinen, brauche ich nur
halb so lange, um zu Macie zurückzukehren, wie für den Hinweg in den
Palasttrakt. Die Geschichte mit Mutter zerrt an meinen Nerven. Ich kann es kaum
erwarten, Gavin davon zu berichten.
Endlich krieche ich
durch das Türchen in Macies Schlafzimmer und schiebe es hinter mir zu. In der
Wohnung herrscht vollkommene Stille, und sofort schlagen meine Instinkte Alarm.
Warum ist es so ruhig? Natürlich habe ich nicht gedacht, dass sie während
meiner Abwesenheit eine Party feiern, aber irgendwelche Geräusche hätte ich
schon erwartet. Stimmen zum Beispiel.
Während ich mich
vorsichtig dem Wohnzimmer nähere, überprüfe ich auch die anderen Räume.
SchlieÃlich spähe ich um die Ecke ins Wohnzimmer und runzele verwirrt die
Stirn. Alles scheint in Ordnung zu sein. Die beiden sitzen herum und starren
Löcher in die Luft. Macie hat sich auf der Couch niedergelassen und die Arme
auf die Knie gestützt. Sie sieht immer wieder zur Wanduhr hinüber und ringt die
Hände. Gavin sitzt im Sessel. Seine Wange zuckt. Es ist nur eine winzige
Regung, die sich alle paar Sekunden bemerkbar macht. Seine Handflächen ruhen
auf seinen Oberschenkeln, doch immer wieder ballt er die Fäuste, sodass seine
Hosenbeine schon ganz zerknittert sind.
In dem Moment, als
ich durch die Tür trete, starren die beiden mich an. Zunächst erkenne ich
Erleichterung in ihren Gesichtern, doch bei Gavin wird die schnell von Wut
verdrängt. Er springt aus dem Sessel und stürmt auf mich zu. Mein Herz setzt
kurz aus, aber ich bleibe gelassen stehen. Vor allem, da ich nicht sicher bin,
ob dieses Gefühl ein Zeichen von Angst ist â oder einen ganz anderen Grund hat.
»Was zur Hölle hast
du dir dabei gedacht? Hast du den Verstand verloren? Ist dir eigentlich klar,
was ich durchgemacht habe? Du hättest getötet werden können. Ich dachte, wir
würden das gemeinsam durchstehen. Schon vergessen?«
Als er endlich von
mir ablässt, stehe ich etwas unsicher auf den FüÃen. Wir starren uns wortlos
an, dann wendet er sich ab und verschwindet im Flur. Sekunden später wird die
Badezimmertür so heftig zugeschlagen, dass ich zusammenzucke.
Macie räuspert sich
taktvoll und sieht ihm hinterher. »Er war ziemlich wütend.«
»Das hatte ich mir
gedacht.« Plötzlich bin ich völlig erschöpft, also lasse ich mich auf die Couch
fallen, lege den Kopf auf die Rückenlehne und schlieÃe die Augen. Auch meine
Schmerzen kehren wieder â durch das Adrenalin hatte ich sie fast vergessen.
»Aber es musste sein.«
Das Quietschen der
Couch verrät mir, dass Macie sich zu mir gesetzt hat. »Dann hast du das Problem
also gelöst?«
»Ja.« Ich schlage
die Augen auf und sehe sie an. »Und deines ebenfalls.«
Verwirrt runzelt sie
die Stirn. »Wovon sprichst du?«
»Dein Problem mit
der Verpaarung, das habe ich gelöst. Du und Nick, ihr seid nun offiziell wieder
zur Verpaarung zugelassen. Und ich habe euch auch schon ein neues Quartier
zugeteilt.«
Unter Tränen lächelt
sie mich an. »Wirklich? Das hast du für mich getan?« Plötzlich verblasst das
Strahlen auf ihrem Gesicht, und
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