Renner & Kersting 01 - Mordsliebe
Vielleicht spricht jemand auffällig oft Kinder an, vielleicht hat der Junge beobachtet, wie dort mit Drogen gehandelt wird, oder die Stadtstreicher sind in trübe Machenschaften verwickelt. Von denen ist doch neulich auch einer ermordet worden … Möglichkeiten gibt es genug.”
„Dir ist wohl dein schwarzer Gurt nicht bekommen? Willst du dich etwa mit einem Killer anlegen?”
„Kommt nicht in Frage!”
„Eine Schnapsidee!”
„Kinder, Kinder, habt ihr etwa alles vergessen, was wir im Aikido gelernt haben?” Theatralisch stöhnend verdrehte Ilse die Augen. „Tenkan heißt die Devise, ausweichen und dann unerwartet von hinten herum. Deshalb müssen wir uns unauffällig in das Bild des Parks einpassen, zum Beispiel als Jogger oder Hundebesitzer. Wir werden beobachten, versuchen Strukturen zu erkennen, unsere Schlüsse ziehen und dann, im richtigen Moment zuschlagen. Der Täter wird erst merken, was los ist, wenn er am Boden liegt. Genau wie im Aikido, versteht ihr?” Sie genoss das verblüffte Schweigen der Zuhörer.
„Trotzdem, ich sage nein! Es ist zu gefährlich!”
Alle redeten durcheinander, bis der sonst so zurückhaltende Ingo sich mit leiser Stimme Gehör verschaffte.
„Gebraucht euren Verstand. Was ist bisher geschehen? Ein Unbekannter hat zwei Kinder getötet, wohlgemerkt Kinder. Entweder ist er pervers und nur Kinder können ihm den Kick geben, den er braucht, oder sie wussten etwas, was ihm gefährlich werden konnte. In beiden Fällen ist die Gefahr für uns gering.”
„Denkst du etwa auch, dass wir uns dort aufhalten sollen?”
„Zumindest ist es für uns weit weniger gefährlich als für Kinder.”
„Was können wir denn schon tun?” Langsam, fast unmerklich schlug die Stimmung um. Ilse registrierte es zufrieden.
„Genau das, was wir auch sonst tun würden, nur eben im Park und mit geschärften Sinnen. Vielleicht finden wir heraus, wer sich regelmäßig dort aufhält, wer Kinder anspricht oder sich mit ihnen abgibt. Wir beschränken uns zunächst auf eine reine Beobachterrolle. Das ist vollkommen harmlos!”
Helga unterdrückte mit Mühe ein Kichern. Ob die anderen sich ebenso leicht beeinflussen ließen wie sie? Ilse und Ali waren, trotz aller äußeren Unterschiede, im Wesen doch sehr ähnlich. Sie würden sicher gut miteinander auskommen. Beide könnten den Besitzer einer Kuckucksuhr zum Kauf von Vogelfutter überreden.
„Bist du wirklich überzeugt, dass etwas dabei herauskommt?” fragte Steffi zaghaft.
„Woher soll ich das wissen? Aber ich hätte das Gefühl, meinen Beitrag zu leisten, nicht abseits zu stehen und alles den anderen zu überlassen.”
„Romantische Abenteuerlust, das ist es, nichts anderes. Da nutzen auch die schönen Worte nichts.” Hans, der Hobbypsychologe, brachte seine Erkenntnisse bei passenden und unpassenden Gelegenheiten an.
„Und wenn schon? Was soll’s!” Ilse zuckte die Schultern. „Es ist jedenfalls ein sinnvolles Abenteuer. Also los, Leute, macht mit!”
Steffi und Wolfgang, die beiden Hundebesitzer, meldeten sich als Erste. „Okay, ich werde dort mit dem Hund spazieren gehen.” Steffi besaß einen wunderschönen Golden Retriever, Wolfgang einen Schäferhund. „Ich mache auch mit. Ob ich meinen Charlie im Stadtgarten oder im Westpark ausführe, ist egal.” Beide konnten sich mit ihren Begleitern sicher fühlen.
„Wir werden dort joggen, aber nur zu zweit. Ist bestimmt besser so.” Ingo und die Jogger unter ihnen besprachen ihre Termine. Auch Klaus und Udo stimmten zu. Sie verabredeten sich für ein paar Schwert-und Stockübungen auf der großen Wiese.
„Etwas zusätzliches Training kann nicht schaden. Hans, du könntest mir ein paar Stocktechniken beibringen. Da fehlt mir einfach die Übung.” Auf diese Weise von Ilse überredet, konnte auch Hans nicht mehr ablehnen. Und so besprachen sie nur noch, wer wann im Westpark sein würde.
8
Am nächsten Morgen trafen sich die Lehrer um 9.30 Uhr zur großen Pause. Unter allen Kollegen herrschten Betroffenheit und Verwirrung. Zwei Morde direkt vor der Haustür zeigten, wie zerbrechlich die für selbstverständlich gehaltene Ordnung doch war. Keiner durfte sich mehr sicher fühlen! Hatten nach Sandras Tod noch einige gehofft, dass es sich um einen tragischen Einzelfall handelte, der die Schule nur indirekt anging, so glaubte jetzt niemand mehr, sich oder die Kinder schützen zu können. Sie mussten mit der Angst leben und mit ihr fertig werden.
Angela Steinhofer brach das
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