Renner & Kersting 01 - Mordsliebe
Koch?”
„Richtig, nur dass die Koch inzwischen wieder Fränzke heißt.” Frau Schnoor, die Älteste und am längsten an der Schule Tätige, kannte die Verhältnisse in einigen bestimmten Familien bestens. „Fragt sich allerdings, wie lange noch. Sie hat schon wieder einen neuen Freund.”
„Na, Sie scheinen die Frau gut zu kennen!” Lindas Feststellung implizierte eine Frage.
„Ich hatte vor einigen Jahren die beiden älteren Kinder in der Klasse. Sie waren nicht lange hier, dann hat das Jugendamt die zwei in ein Heim gesteckt. Kurze Zeit später wurde Benjamin geboren. Den durfte die Mutter behalten, weil sie angeblich trocken war.” Frau Schnoor zuckte mit den Schultern, die wulstigen Lippen verzogen sich zu einem bösartigen Grinsen. „Die vom Jugendamt glauben immer das, was ihnen am besten in den Kram passt.”
„Was denn, Bennis Mutter ist Alkoholikerin? Komisch, mir ist nie etwas aufgefallen, wenn sie mal zu mir kam”, meinte Frau Stellmann überrascht. „Vielleicht ist sie ja wirklich abstinent.”
„Kann ich mir nicht vorstellen. Nicht bei der Frau! Haben Sie ihren unsteten Blick bemerkt? Und dann die Nervosität. Sie kann die Hände nicht eine Minute stillhalten.”
Ulrike Stellmann hatte es nicht registriert. Und selbst wenn sie es gewusst hätte, hätte es ihr Verhalten Benjamin gegenüber auch nicht beeinflusst.
„Existiert nicht noch eine kleine Schwester? Benni hat ein paar Mal gefehlt, angeblich, weil er auf sie aufpassen musste.”
„Stimmt”, bestätigte Frau Paukens. „Der kleine Kerl hatte bereits eine Menge Verantwortung zu tragen. Und ich weiß, wie schwer die wiegt. Ich habe zu meiner
Zeit …” Ihre Stimme wurde leiser, verlor sich schließlich ganz. Niemand außer Helga bemerkte es, denn inzwischen hatte Hildegard Schnoor die Gesprächsführung wieder an sich gerissen.
„Das kann ich mir bei der Frau gut vorstellen. Männer und deren Wünsche besaßen stets Vorrang. Und das Schlimmste ist”, sie legte eine dramatische Pause ein, „das fünfte Kind ist unterwegs.”
„Von jedem neuen Freund ein Kind!” Elli Goppel klang wieder einmal sehr zynisch. „Hat der Kerl wenigstens Arbeit?”
„Keine Ahnung, ich weiß nur, dass er ab und zu ein paar Sachen für Lembert erledigt. Hat mir die Fränzke erzählt, als ich sie letzte Woche im Kaufpark traf und sie mir ganz stolz ihre neue Perlenkette zeigte.”
Einige Kolleginnen warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu. Hier entging Helga etwas, die noch nicht allzu lange in der Stadt lebte. Nach zehn Jahren in einem Dorf, hatte sie Sehnsucht nach der Großstadt verspürt und sich versetzen lassen. Dass sie ausgerechnet hier landen würde, hatte sie nicht geahnt. „Wer ist Lembert? Anscheinend kennt ihr ihn alle?”
Jetzt übernahm Elli Goppel die Antwort. Sie war hier geboren und kannte sich aus. „Lembert ist der Chef vom hiesigen Rotlichtmilieu. Ihm gehört unter anderem der Puff.”
„Was? Ein Bordell? Hier?”
„Klar, warum denn nicht? Ein paar Schmuddelkinos und Bars haben wir auch.”
„Da arbeitet der Freund von der Fränzke? Wer weiß, vielleicht verdient die ihr Geld auch in der Horizontalen.”
Für eine Weile blieb es still. Jeder Lehrer an dieser Schule musste schon des Öfteren mit Schülern umgehen, die schlimmere Erlebnisse hinter sich hatten, als je ein Kind erfahren sollte. In unerfreuliche Gedanken versunken saßen sie an dem langen Konferenztisch, die Kaffeetassen größtenteils unberührt. Auch das gleißende Licht konnte die dumpfe Atmosphäre nicht vertreiben. Für die Mitteilungen vom Schulamt sowie die bunten Prospekte, die zuhauf in der Mitte lagen und die neuesten Bücher und Materialien anpriesen, hatte niemand einen Blick.
„Bei den desolaten Familienverhältnissen sollte es doch ein leichtes sein, den Mörder aufzuspüren. Vielleicht war es einer der Freunde der Mutter, der hemmungslos drauflos geprügelt hat.” Frau Meierfeld hob die Schultern. Sie gehörte seit knapp zwei Monaten zum Kollegium und erkannte erst allmählich, wie schlimm das Umfeld mancher Schüler war. „Wie sehr Kinder nerven können, wissen wir alle, und da hat eben jemand die Beherrschung verloren.”
„So einfach ist es nicht”, bemerkte Frau Steinhofer. „Wären die Kleinen misshandelt oder totgeprügelt worden, könnten Sie Recht haben. Aber so war es nicht. Beide Opfer wurden erdrosselt. Das tut man nicht im Affekt, nicht bei einem Kind. Das war geplant.”
„So, hm, ja.” Unentschlossen kaute Frau
Weitere Kostenlose Bücher