Renner & Kersting 01 - Mordsliebe
der Pausen im Gebäude aufhielten und durch das Treppenhaus tobten, sei es, dass sie mit einem harten Lederfußball spielten und Mitschüler und Glasscheiben gefährdeten. Da Gespräche nicht gefruchtet hatten, wuchs Helgas Abneigung stetig. Sie vermied möglichst jede Begegnung mit der Kollegin.
Und nun hatte sie sich um Lindas Telefonanruf kümmern müssen.
„Ich finde es nicht richtig, dass Dinge, die das Kollegium angehen, außerhalb der Konferenz besprochen werden. Und ein Fund von über hundert Euro geht alle an. Weshalb wolltet ihr das geheim halten?” Lindas Stimme wurde lauter, während ihre herben Gesichtszüge sich zu einer hässlichen Grimasse verzerrten. Helga war der Auftritt unangenehm. Die Sekretärin hielt in ihrer Arbeit inne, ihr Blick wanderte neugierig von einer zur anderen. Da die Tür einen Spalt offen stand, konnte man die Vorhaltungen auch auf dem Flur vernehmen. Besänftigend trat Helga einen Schritt auf Linda zu, doch diese wich gereizt zur Seite aus und öffnete schon den Mund für weitere Anklagen, als Elli dazukam.
„Draußen warten Eltern. Wenn ihr schon streiten müsst, dann sucht euch einen Klassenraum und schließt gefälligst die Tür”, zischte sie.
Inzwischen hatte Helga entschieden, der Kollegin die Geschichte von Angelas Erpressung zu erzählen. Vielleicht schaffte sie es, die angestaute Wut auf Müller zu lenken. Unbewusst verzogen sich ihre Lippen zu einem spöttischen Grinsen. „Eine Lehrerin muss auch mit Schwierigkeiten produktiv umgehen können!”, gehörte zu Lindas endlos wiederholten Standardsätzen, die niemand mehr ernst nahm. Aber genau das erforderte die jetzige Situation von Helga.
Das Gespräch beanspruchte ihre ganze Konzentration, aber sie schaffte es immerhin, Linda soweit zu besänftigen, dass diese versprach, während der nächsten Konferenz für Angela Steinhofer zu sprechen. Ein diplomatisches Meisterstück ersten Ranges! Helga hätte sich auf die Schulter klopfen mögen, fühlte sie sich nicht ausgelaugt wie nach sechs Stunden Unterricht.
Zwar misstraute Linda Helga noch immer und auch die gegenseitige Aversion war geblieben, doch spürten beide ein wachsendes Bedürfnis nach Kaffee, was sie veranlasste, ins Lehrerzimmer zu wechseln. Kaum hatten sie ihre Tassen gefüllt, beendete das Klingeln der Schulglocke die Pause.
An diesem Montag lief wieder einmal alles schief. Nach der ganz und gar nicht erholsamen Pause durfte sie zwei Stunden Kunst in der Stellmann-Klasse unterrichten. Entgegen aller guten Vorsätze wurde sie laut und brüllte einige Kinder dermaßen an, dass zwar für kurze Zeit Ruhe in der Klasse herrschte, sie aber nach Schulschluss völlig erschöpft war. Sie entschied, die morgigen Stunden ›ex Ärmelo‹ zu halten – irgendetwas würde ihr schon einfallen – und den Nachmittag mit einer Kanne Assam auf dem Sofa zu verbringen.
Abschalten konnte sie trotzdem nicht. Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu Schülern sowie deren Väter und Mütter zurück: Julia, die sich von Marcels Vater anfassen ließ; Benni, der von Jörgs Vater bevorteilt worden war und der kleine Marcel, der Unterschlupf bei einer fremden Frau gesucht und gefunden hatte. Er gehörte auch zu denen, die sich mehr auf der Straße als daheim aufhielten. Die Stimme am Telefon hatte nicht unsympathisch geklungen, und dass die Frau sich sorgte und Kontakt zu Marcels Mutter aufnehmen wollte, sprach nur für sie. Wenn sie doch hätte helfen dürfen, überlegte Helga verärgert. Manchmal hinderten Vorschriften mehr als dass sie nützten.
Wie schon so oft tauchte Ali gerade dann auf, wenn Helga sich nach Ruhe und Entspannung sehnte. Von ihrer normalerweise übersprühenden Energie bemerkte diese im Moment allerdings nichts. „Hast du ’nen Kaffee?” Müde sank Ali in den nächsten Sessel. So kannte Helga ihre Freundin nicht. Kommentarlos schaltete sie erst einmal den Kaffeeautomaten ein – die Teekanne war ohnehin fast leer – bevor sie nach der Ursache für Alis Schwunglosigkeit fragte.
„Ach, ich weiß auch nicht. Ich habe das Gefühl, im Nebel zu stehen. Wir kommen keinen Schritt voran, nicht wirklich. Was nützen alle Theorien, wenn die Fakten fehlen! Ich habe meine Töchter und deren Freundinnen ausgehorcht, die Linners beobachtet und die Fränzke samt Spezi verfolgt. Nichts. Nicht mal ’nen grauen Wollmantel habe ich gesehen. Es ist zum Heulen.”
„Was ist mit dem Lover der Linners?”
„Der wohnt wahrscheinlich in der Böhmerstraße. Einmal bin
Weitere Kostenlose Bücher