Renner & Kersting 01 - Mordsliebe
gut, freue ich mich und hoffe das Beste, ist die Legung schlecht, hoffe ich auch das Beste.” Sie teilte die Karten in zwei Hälften. Eine legte sie beiseite, die andere mischte sie. „Und dann lasse ich mich überraschen.”
Ali lachte leise. „Die Methode gefällt mir.”
Helga räumte den Tisch leer. Auch wenn man aus Ilses Worten auf eine gesunde Skepsis schließen konnte, war das Legen der Karten für sie eine weihevolle Handlung. Sie benutzte eine kompliziertere Methode als beim letzten Mal. Zuerst legte sie drei Karten ein wenig schräg übereinander, dann kreisförmig vier Karten drum herum, so dass ein Kreuz entstand, anschließend vier Karten in einer Reihe untereinander. „Das keltische Kreuz ist aussagekräftiger”, murmelte Ilse. „Ich nehme nur die großen Bilder. Jedes hat seine symbolischen Bedeutungen.”
Da lagen der Tod, der Gehenkte, der Teufel. „Ist ja grässlich”, stöhnte Ali in gespielter Verzweiflung. „So viele Tote! Und dazu noch der Teufel.”
„Ganz so schlimm ist es nicht”, tröstete Ilse. „Diese Karten verfügen auch über positive Seiten. Der Tod bedeutet Veränderung, sei es, dass der Fall geklärt wird, sei es, dass ein weiterer Mord geschieht. Was mich viel mehr stört, das ist der Turm hier. Er steht für schlechte Neuigkeiten. Rechnet euch selbst aus, was das bedeutet.” Sie kaute auf ihrer Unterlippe, die sie zwischen die Zähne gezogen hatte. „Das gefällt mir nicht, überhaupt nicht. Der Fall ist noch nicht gelöst, und die Gefahr eines dritten Mordes besteht weiterhin.” Seufzend hüllte Ilse ihre Karten wieder in das Seidentuch.
Bedrückt und ratlos saßen sie um den Tisch. Regen prasselte gegen das Fenster. Es war einer der Momente, in denen die Angst mit geballter Macht zuschlug und Helga sich klein und hilflos fühlte. Ali war die erste, die sich fing. Resolut richtete sie sich auf, um die nächsten Aufgaben zu verteilen. „Helga, du sprichst mit deiner Kollegin, die wir mehrfach auf den Fotos gesehen haben und findest heraus, wer die Frau im grauen Wollmantel ist; Ilse und ihre Freunde überwachen weiterhin den Park, und ich … ich werde mich um Lembert kümmern. Ich weiß auch schon wie.”
21
Im Gegensatz zu früher ärgerte sich Helga nicht mehr über die vielen Aufsichten, die sie zu führen hatte, denn es gab keine bessere Gelegenheit, mit Kindern ins Gespräch zu kommen. Langsam schlenderte sie über den sauber gepflasterten Schulhof, der nur wenige Spielmöglichkeiten bot. Seilchen und Gummitwist waren derzeit ebenso out wie Hüpfspiele und Tischtennis; auf der vereinsamten Platte hockten ein paar Erstklässler und tauschten Sammelkarten. Nur Fußball hatte nie an Beliebtheit verloren. In jeder Pause spielten die Schüler mit weichen Schaumstoffbällen, deren Treffer niemand verletzten. Da es nicht genügend Bälle für alle Interessenten gab und der Schulhof klein war, entstanden regelmäßig Konflikte, die sich kaum lösen ließen. Geschickt wich Helga Spielern und anfliegenden Bällen aus. Sie hielt Ausschau nach Marcel Wohman und Jörg Müller, die sie über ihre Väter aushorchen wollte. Sie besaß keine Skrupel mehr, die Schüler nach ihrem Zu Hause zu befragen, ganz im Gegenteil. Das Wissen um die häuslichen Verhältnisse half ihr auch bei der Arbeit mit den Kindern. Sie merkte, wie sie langmütiger wurde, mehr Geduld zeigte. Ein wenig bedauerte sie ihre bisherige Zurückhaltung.
„Hallo Jörg, na wie geht’s dir denn?”
Jörg stoppte mitten im Lauf und schaute Frau Renner neugierig an. Er war ein dicklicher Junge, dessen weiches, rundes Gesicht Gutmütigkeit ausstrahlte. Helga wusste, dass seine Klassenkameraden ihn regelmäßig hänselten und er viel allein war, weil kaum einer mit ihm spielen wollte. Manchmal versuchte er, sich Freundschaften mit Geschenken zu erkaufen. Offenbar verfügte er über reichlich Taschengeld. Helga kannte ihn ziemlich gut, da er ganze Pausen in der Schülerbücherei vertrödelte, wenn sie dort die Ausleihe überwachte. Vermutlich fühlte er sich zwischen den Regalen wohler als auf dem Schulhof.
„Das Buch, das ich mir geliehen habe, habe ich schon durch, das ist ganz doll spannend. Haben Sie noch mehr davon?”
„Sicher! Liest du denn gern Detektivgeschichten?”
„Klar, ich habe auch viele zu Hause.”
„Hat dein Vater dir die Bücher geschenkt?”
„Nee, dem bin ich egal. Er muss sich ums Geschäft kümmern – sagt Mama jedenfalls.”
Helga zuckte zusammen, als sie die
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