Renner & Kersting 01 - Mordsliebe
wird.”
„Was? Marcel? Den kenne ich auch. Der arme Junge!”
„Was hatte Marcel denn bloß im Park zu suchen? Er wohnte doch gar nicht dort in der Nähe, oder?”
„Im Primelweg und das ist von hier aus gesehen genau auf der anderen Seite. Für den Jungen wäre das ein Weg von zwanzig bis dreißig Minuten gewesen, an der Schule vorbei und zum Park hin. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Erstklässler allein so weit läuft.”
„Vermutlich ist er mit jemandem mitgegangen.”
„Marcel? Ausgeschlossen. Der war viel zu ängstlich!”, behauptete Linda.
Helga widersprach: „Das glaube ich nicht. Neulich rief eine Frau hier an, die Marcel häufiger besuchte, ohne dass er sie vorher gekannt hatte. Sie wollte Marcels Telefonnummer, um mit seiner Mutter sprechen zu können.”
„Du meinst, dass Marcel einfach bei einer wildfremden Frau schellte, als seine Mutter nicht da war?”, fragte Elli entsetzt.
„Nicht ganz, nein. Er hat sie beim Kaufmann angesprochen und angeboten, ihr die Tasche zu tragen. Danach besuchte er sie dann öfter. Im Nachhinein klingt es fast, als hätte Marcel sich an sie herangemacht. Jedenfalls … der alten Frau gefielen seine Besuche. Sie spielte gerne mit dem Jungen und wollte nur seine Mutter informieren, damit die weiß, wo ihr Sohn sich aufhält.”
„Und? Hat sie die Mutter angerufen?”
„Vermutlich nicht, ich durfte ihr die Telefonnummer jedenfalls nicht geben. Eine Geheimnummer.”
„Dass solche Leute auch immer Geheimnummern haben müssen!”
„Was heißt hier ›solche Leute‹? Du weißt doch gar nichts von der Familie”, schimpfte Linda aufgebracht.
„Wenn die Mutter den Jungen so oft allein lässt oder ihm die Wohnung verbietet, dass der Unterschlupf bei einer fremden Frau sucht, na, das sagt doch wohl alles!”, gab Ulrike Stellmann giftig zurück.
„Wahrscheinlich waren die Gläubiger hinter den Eltern her, dass die eine Geheimnummer brauchten! Ich erinnere mich da an eine Familie, das muss vor drei oder vier Jahren gewesen sein, also, das war vielleicht ein Theater, sogar hier in der Schule riefen die Leute an, um deren Telefonnummer und Adresse zu erfahren …” Bevor Frau Schnoor weitere Details zum Besten geben konnte, wurde sie unterbrochen.
„Hört auf, hier geht es um Marcel, auch so ein armes Würstchen, um das sich niemand kümmerte.” Beate stand in der Tür, augenscheinlich hatte sie den letzten Teil der Unterhaltung mitbekommen.
„Das stimmt! Erinnert euch, auch Benjamin suchte Zuflucht in fremden Häusern, wenn er sich daheim nicht sehen lassen durfte.”
Kurze Zeit blieb es still. Jeder schien in Gedanken versunken. Wieder versuchte der Rektor, die Lehrer nun endlich zum Arbeiten zu bewegen. Doch noch waren alle viel zu verstört und entsetzt, um zu den Kindern hinauszugehen.
„War die Polizei schon hier?”
„So schnell sind die nun auch wieder nicht. Der Junge wurde doch gerade erst gefunden. Ich nehme an, dass gleich in der Pause jemand auftauchen wird.”
Plötzlich spürte Helga, die dicht neben der Tür stand, dass sie jemand am Ärmel zupfte. Alis Veronika hatte sich unbemerkt an Beate vorbeigeschlängelt. „Die großen Jungen ärgern uns dauernd, und auf dem Schulhof ist keine Aufsicht!”, schimpfte sie. „Wann holst du uns endlich rein?”
„Äh ja, gleich, sag den anderen schon mal Bescheid, dass sie sich aufstellen sollen, ja?” Nur wenig getröstet zog Veronika von dannen.
„Aber warum so kleine Kinder? Ausschließlich Grundschüler?”, rief Angela Steinhofer laut und anklagend. „Und warum sind es nur Kinder von unserer Schule?”
„Vielleicht wohnt der Täter in der Nähe, vielleicht kennen wir ihn sogar.” Elli Goppel musterte prüfend die Gesichter der Kollegen und Kolleginnen, die noch immer von Schock und Entsetzen gezeichnet waren.
„Hör auf, du machst mir Angst!”
„Das … das meinen Sie doch nicht wirklich?”, flüsterte die junge Lehramtsanwärterin.
„Wer weiß, vielleicht hat er oder sie sogar mit der Schule zu tun.” Es war schwer zu entscheiden, ob Volker Reiser nur schockieren wollte oder seine Aussage ernst meinte. „Es könnte ein Vater, eine Mutter oder sogar eine Kollegin sein!”
„Du spinnst!”
„Ach, halt die Klappe!”
Alle wehrten empört ab. Was Rektor Raesfeld mit vielen Bitten nicht geschafft hatte, erreichte Reiser mit seiner Unkerei. Jeder suchte seine Arbeitsmittel zusammen, um endlich mit dem Unterricht zu beginnen, als Elli ausrief: „Wurde unsere
Weitere Kostenlose Bücher