Renner & Kersting 01 - Mordsliebe
stellen müssen.
„Nun gut! Möchtest du noch ein Omelett? Noch etwas Wein?”
„Ja, bitte.”
„Wirklich?” Die Grübchen in ihren Wangen vertieften sich, als sie aufstand und sich dem Kühlschrank zuwandte. Der warme Schein der chinesischen Laterne gab ihrem Haar einen ganz besonderen Glanz. Er nickte und schmunzelte und fühlte sich wohl wie schon lange nicht mehr. Das Mitternachtssouper mit Kräuteromelett und süffigem Wein erschien ihm auf einmal wie grenzenloser Luxus. Er hatte schon fast vergessen, wie angenehm dieser Teil des Lebens sein konnte.
„Warum bist du letztes Mal davongelaufen?”
Es dauerte eine Weile, bevor er zugab: „Ich habe zuviel Leid erlebt, das durch falsch gedeutete Gefühle entstanden ist, ich wollte kein Risiko eingehen.” Er stockte, und die Atmosphäre füllte sich mit Ungesagtem. Schon wieder eine neue Facette, erkannte Helga. Welcher Mann gab ohne weiteres zu, dass er sich Gedanken machte über die Gefühle einer Frau und Angst hatte, diese vielleicht falsch zu verstehen? Lächelnd blickte sie ihn an. Sein Gesicht schien wie gemeißelt, der Blick undurchdringlich. Er war weit weg. Instinktiv ahnte sie, dass die Vergangenheit rief und ihre Anwesenheit im Moment nicht zählte. Sie fühlte sich ausgeschlossen. Also bat sie einfach: „Erzähl es mir.” Sie streckte ihre Hand aus und legte sie sanft auf seine rechte. Die Berührung holte ihn in ihre Gegenwart zurück. Atemlos, wie aus einem tiefen Traum erwachend, ächzte er: „Es ist nicht so einfach.”
„Das ist es nie, wenn Gefühle beteiligt sind.”
„Nein.” Er versuchte, ihr seine Hand zu entziehen, doch sie verstärkte den Griff, kraftvoll und zärtlich zugleich. In ihren Augen las er Liebe und Verständnis.
„Sag es”, wiederholte sie leise.
„Nun ja, ich war verlobt, wir wollten heiraten.” Er hielt inne, ein verlegenes Lachen im Mundwinkel, das zeigen sollte, wie banal die Geschichte eigentlich war. „Glücklicherweise merkten wir rechtzeitig, dass wir nicht zusammenpassten.” Er schwieg.
Helga sagte nichts, starrte in die verschleierten Augen und wartete. Sie wusste, dass mehr dahinter steckte. Eine einfache Trennung würde ihn nicht so verstört haben. In der Nachbarwohnung schlug die alte Standuhr Mitternacht. Klaus seufzte auf. „Wir … ich wollte unbedingt Kinder.” Schweigen. Ein neuer Anlauf. „Möglichst bald. Ich bin nicht mehr jung.”
„Sie konnte keine bekommen?” Helga fragte so leise, als fürchte sie die Antwort. Er schüttelte heftig den Kopf. „Nein, nein. Sie … sie wollte nicht. Ich bemerkte es zufällig. Die Pille … sie hatte sie im Bad vergessen. Dabei hatten wir vereinbart … wir hatten gemeinsam entschieden, dass …” Seine Stimme verlor sich im Raum. „Ich hatte so gehofft, mich schon gefreut, wir haben uns Kinderwagen und Spielzeug angeschaut … Doch entgegen aller Zusagen wollte sie sich nicht binden, nicht an ein Kind.” Als seien plötzlich Schleusen geöffnet, redete er schneller. „Sie hatte ihr juristisches Examen bestanden, plante ihre Karriere, ein Baby wäre dabei im Weg gewesen. Es war einfacher zu lügen, als … als sich mit mir auseinander zu setzen. Dabei liebte ich sie und vertraute ihr.”
Oh nein! Erschrocken begriff sie, welche Schmerzen ihm die Morde an den Kindern zufügten und wie schwer es ihm fallen musste, einer Frau zu vertrauen. Doch bevor das Mitgefühl sich in ihr ausbreiten konnte, meldete sich die Gegenposition zu Wort. Manchmal, so wie in diesem Moment, hasste sie ihre Fähigkeit, gegensätzliche Ansichten nicht nur sofort zu erkennen, sondern meistens auch zu verstehen. Wie oft war sie schon unfähig gewesen zu einer klaren Entscheidung, weil sie für beide Seiten Verständnis aufbrachte.
„Das waren zwei Entscheidungen, die eine Frau nicht leichtfertig trifft”, sagte sie deshalb.
„Soll das heißen, du … du verstehst …” Der Satz verlor sich und wurde zu einer Art implizierter Frage.
Sein Entsetzen tat ihr weh.
„Ich denke nur, dass es vielleicht noch andere Gründe gab als der Gedanke an Karriere. Ihr müsst doch darüber gesprochen haben?”
„Sicher, schon, aber ich dachte … ich glaubte, wir seien einer Meinung. Ich glaubte, sie wünsche sich ebenso sehr eine Familie wie ich.”
Typisch Mann! Er glaubte, was er glauben wollte. Helga wischte geistesabwesend über die Spüle, um ihn nicht ansehen zu müssen, nicht in diesem Moment. Sie wusste, dass ein guter Beobachter ihr jede Regung vom Gesicht
Weitere Kostenlose Bücher