Renner & Kersting 02 - Mordswut
nichts schief gehen. Sie selbst war das beste Beispiel: Ohne zu suchen hatte sie einen Parkplatz bekommen, der nichts kostete. In der Innenstadt so selten wie ein Lottogewinn. „Das Leben ist großartig“, dachte sie und sang laut den alten Schlager von Reinhard May, während sie im Handschuhfach nach der Parkscheibe suchte. Sie durfte nicht vergessen, ein kleines Geschenk für Helga Renner zu besorgen. Schließlich war es nicht selbstverständlich, dass diese ihr zwei Stunden abnahm. Helga hatte ihr angeboten, auch morgen noch einmal die sechste Stunde zu übernehmen. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, in den Ferien zu heiraten, aber sie wollten beide nicht länger warten. Der Trauschein war wie das Tüpfelchen auf dem I, ein Siegel ihrer Liebe. Die Hochzeitsreise würden sie in den Weihnachtsferien nachholen. Ihrem Wunsch nach einer Kreuzfahrt auf dem Nil hatte Josef sofort zugestimmt. Gleich am nächsten Tag war er ins Reisebüro gegangen. Noch einmal seufzte sie lautlos. Was für ein phantastischer Mann! Doch jetzt musste sie sich zusammenreißen. Bis zu dem Geschäft mit den Brautmoden waren es nur wenige Schritte.
3
An diesem Dienstag konnte der Kriminalhauptkommissar Klaus Kersting pünktlich Feierabend machen. Etwas, das in seinem Beruf nicht selbstverständlich war. Er überlegte, ob er seine Freundin, Helga Renner, anrufen sollte. Doch dann entschloss er sich, diesen Abend allein zu genießen und einmal wieder das zu tun, was er schon lange nicht mehr getan hatte: vor dem Fernseher liegen, Bier trinken und Chips knabbern. Er wusste, warum er allein bleiben wollte. Er musste endlich eine Entscheidung treffen, und da das nüchtern offensichtlich nicht funktionierte, würde er es heute Abend mit dickem Kopf versuchen. Dabei war ihm völlig klar, dass, gleichgültig, wie die Entscheidung ausfallen mochte, er sie spätestens am nächsten Tage revidieren würde. Das Schicksal war einfach unfair. Es behandelte Männer und Frauen ungleich und ihn benachteiligte es ganz besonders, fand er. Was machte ein Altersunterschied von vier Jahren aus? Nichts, vor allem dann nicht, wenn der Mann der Ältere war. Doch in seinem besonderen Falle war es umgekehrt. Seine Freundin zählte vier Jahre mehr. Normalerweise auch kein Problem, wenn beide noch jung waren. Doch bei ihnen schien der Altersunterschied unüberwindlich zu sein. Mit dreiundvierzig Jahren wollte Helga kein Kind mehr. Bei der Geburt wäre sie vierundvierzig, fünfzig, wenn es in die Schule käme, dreiundsechzig, wenn es Abitur machte. Helga fand es dem Kind gegenüber unfair, so eine alte Mutter zu haben, abgesehen von den medizinischen Problemen, die sich auftun, wenn eine Frau in dem Alter zum ersten Mal schwanger wird, falls es überhaupt dazu kam. Außerdem traute sie sich die Energie, die für die Erziehung gebraucht wurde, nicht mehr zu. Für ihn, Kersting, war neununddreißig noch lange nicht zu alt, um Vater zu werden. Und er wünschte sich Kinder, solange er denken konnte. Jetzt allerdings schien es, als müsste er wählen zwischen einem Kind und der Frau, die er liebte. Vor so eine Wahl durfte das Schicksal niemanden stellen, fand er. Er konnte sich ein Leben ohne Helga kaum vorstellen. Sie war da, wenn er sie brauchte, ob zum Reden, zum Kuscheln oder einfach nur, um Nähe zu spüren. Mit ihr konnte er ebenso gut lachen wie schweigen. Sie war Freundin und phantasievolle Geliebte, beruhigend und aufregend zugleich. Noch nie hatte er sich bei einer Frau so wohl gefühlt. Und das sollte er aufgeben?
Schon einmal war eine Beziehung wegen seines Wunsches nach Kindern zerbrochen. Damals hatte der Hochzeitstermin bereits festgestanden, der Mietvertrag für eine Wohnung inklusive Kinderzimmer stand kurz vor dem Abschluss, als er merkte, dass sie in Wirklichkeit gar keine Kinder wollte, dass ihr die Karriere mehr bedeutete. Seine Enttäuschung saß tief, und es hatte lange gedauert, bis er wieder einer Frau vertrauen konnte. Einer Frau, die sich für Kinder zu alt fühlte. Für ihn wurde es allmählich Zeit, Vater zu werden. So jung war er auch nicht mehr. Aber was sollte er tun? Wie sich entscheiden?
Er erhob sich aus seiner halb sitzenden, halb liegenden Stellung. Auf dem Weg in die Küche warf er einen flüchtigen Blick in den Sportteil der Zeitung: ein großer Artikel über Rot-Weiß, Vermutungen über Spieler-und Trainerwechsel bei diversen Fußballvereinen, nichts wirklich Wichtiges. Er stopfte das Blatt in den Papiercontainer und bemächtigte
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