Renner & Kersting 03 - Mordsgier
bereit, mehr zu sagen. Aber jetzt wollte auch die Lehrerin nur noch nach Hause und von der Schule nichts mehr sehen und nichts mehr hören. Das Gewicht ihrer Tasche erinnerte sie daran, dass dieser Wunsch unerfüllbar war. Sie musste Haushefte kontrollieren. Ohne ständige Kontrolle taten die Kinder gar nichts.
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Missvergnügt saß der Mörder im Cafetiero und studierte alle Zeitungen, derer er habhaft werden konnte. Als er heute Morgen ahnungslos seine übliche Runde drehte, waren ihm die Schlagzeilen von Westfalenpost, Rundschau und Bildzeitung dermaßen auf den Magen geschlagen, dass er sich im Kaufpark erst einmal einen Kuemmerling geholt und noch im Kassenbereich gekippt hatte, um seine Nerven zu beruhigen. Nach kurzem Überlegen war er dann ins Cafetiero gegangen, da es dort den seiner Meinung nach besten Kaffee sowie diverse kostenlose Zeitungen zum Lesen gab. Er war momentan etwas knapp bei Kasse, aber das würde sich ja bald ändern.
›Mord im Gymnasium!‹ und ›Wollte sich ein Schüler rächen?‹ lauteten die Überschriften. Wie zum Teufel waren die Bullen nur auf die Idee gekommen, dass es sich um Mord handelte? Schließlich hatte er gründlich recherchiert und alles zum Thema gelesen. Er war sogar so vorsichtig gewesen, sich die entsprechenden Bücher in Dortmund und Essen zu besorgen und sie nach der Lektüre in eben diesen Orten in Papiercontainer zu werfen. Auch die Internetrecherche hatte er in verschiedenen Internet-Cafés dieser Städte betrieben. Nichts und niemand sollte ihm Interesse an Giften nachweisen können. Und nun das! Hastig überflog er den Leitartikel der Rundschau. Doch der gab nichts her. Er schlug den Innenteil auf. Fehlanzeige. Viele Vermutungen, ein paar Kommentare über Lehrer-Schüler-Beziehungen, eine Auflistung all jener Fälle, in denen Schüler Lehrer getötet hatten, aber keine neuen Informationen. Er brauchte eine weitere Tasse Kaffee.
In den Sechzigern, als E 605 allenfalls unter Gärtnern bekannt war, wurde bei diesbezüglichen Todesfällen stets Herzversagen diagnostiziert. Und wenn die eine Täterin nicht so blöd gewesen wäre und soviel gequatscht hätte, wäre die Polizei nie darauf gekommen, was für eine wunderbare Erfindung dieses E 605 eigentlich war. Niemand wusste genau, wie viele Morde und Selbstmorde auf dessen Konto gingen. Das war mit ein Grund gewesen, die Zulassung zu widerrufen. Und nun war das Zeug schon so lange vom Markt, da sollte man eigentlich annehmen, dass sich niemand mehr erinnerte.
Im letzen Sommer hatte er es rein zufällig während einer Party entdeckt, als er auf der Suche nach Grillanzündern die Regale im Gartenhäuschen durchkämmte. Obwohl er damals noch keine Ahnung hatte, wie er mögliche Hindernisse auf seinem Weg zum Reichtum ausräumen würde, hatte er das Fläschchen vorsorglich eingesteckt. Den Gastgeber kannte er nur flüchtig, er war der Freund eines Freundes, und die Party geriet im Laufe des Abends dermaßen aus den Fugen, dass sich kaum jemand an die einzelnen Teilnehmer erinnern würde. Vor allem nicht ein halbes Jahr später. Theoretisch dürfte es also keine Beweise gegen ihn geben.
Bisher hatte er sich mit viel Geschick durch alle Höhen und Tiefen des Lebens geschlängelt, sodass eine kleine Panne ihn nicht aus der Bahn zu werfen vermochte. Er würde wie bisher seiner Flexibilität, seinem Einfallsreichtum und seinem Können vertrauen. So wie damals, als er mit Aljoscha Autos in die Ukraine überführt hatte. Beide hatten klotzig verdient, bis Aljoscha eines Tages auf die Idee kam, seine Frau Ivana würde es mit dem Partner treiben. Eine Vermutung, die eine gewisse Berechtigung besaß. Aber was sollte er denn tun, wenn eine verführerische Russin ihm schöne Augen machte? Zu dumm, dass sie kaum Rücksicht auf die Anwesenheit ihres Mannes nahm. Als der einen ihrer heißen Blicke bemerkte, flippte er völlig aus und schnappte sich das Tranchiermesser. Dem rasend Eifersüchtigen vermochte er nur mit viel Glück und Geschicklichkeit zu entkommen. Dabei war ihm klar, dass er sich eine Auseinandersetzung mit Aljoscha und seinen Kumpanen nicht leisten konnte, weshalb er dem Partner schnellstens beweisen musste, wie lächerlich dessen Verdacht war. Es kostete ein wenig Zeit, akribische Planung und ein paar Euro, dann überraschte Aljoscha ihn mit einem Mann im Bett. Noch heute überkam ihn Ekel, wenn er an die Szene dachte. Aber Aljoschas Überraschung und die anschließende lautstarke Versöhnung, bei der der
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