Renner & Kersting 03 - Mordsgier
geh’ zu Yvonne. Hausaufgaben mache ich heute Abend.«
»Nichts da. Die Hausaufgaben werden jetzt sofort erledigt.«
»Och nee!« Mit hängenden Schultern zogen beide Kinder ab in ihre Zimmer. Während Ali das Geschirr in die Spülmaschine räumte, dachte sie über Franziskas Erzählung nach. Ihrer Tochter hatte sie eine Zuversicht gezeigt, die sie nicht empfand. Vielleicht lag es an ihren Vorurteilen, vielleicht an den allgemeinen Klischeevorstellungen – immerhin war Lucias Vater ein heißblütiger Sizilianer, dessen Tochter Unrecht widerfahren war. Falls er nun den deutschen Schulen nicht traute und das Recht lieber selbst in die Hand nahm?
Auf dem Weg zum Parkplatz sah Helga zwei Schülerinnen der Oberstufe ihre Köpfe zusammenstecken und offensichtlich über sie reden, wie ihre verstohlenen Blicke anzeigten. Neugierig geworden, da die beiden ihr Interesse an der Grundschullehrerin gar nicht zu verbergen suchten, ging Helga etwas langsamer. Und tatsächlich, beide wandten sich ihr zu.
»Sie sind doch von der Schule, wo es schon mal einen Mord gegeben hat?«
Das stimmte so zwar nicht, aber Helga nickte trotzdem. »Ja, kann ich helfen?«
»Dann wissen Sie doch sicher, wie die Polizei arbeitet. Wie war das damals bei Ihnen? Werden die uns alle verhören?«
»Bestimmt alle, die mit Herrn Wohlfang zu tun hatten, also alle Lehrer und die Schüler, die er unterrichtete. Und eins kann ich euch sagen«, sie dachte an ihre ersten Begegnungen mit Klaus zurück, »die kommen immer wieder und wieder und fragen und fragen. Solange bis sie den Täter haben. Manchmal ist das ganz schön nervig.«
Die Zwei starrten sich an. »Sind die tatsächlich so oft gekommen?«
»Oh ja.« Helga nickte seufzend, während ihr Gesicht sich zu einer resignierten Grimasse verzog. Dann hob sie den Kopf. »Falls es da etwas gibt, das Sie lieber verschweigen möchten ...«
Ein entschiedenes Kopfschütteln, jedoch ein zögerndes langsames »Nein.«
»Oder«, ihr kam eine andere Idee, »möchten Sie, dass die Polizei etwas Bestimmtes erfährt, aber ohne Nennung eines Namens?« Offensichtlich hatte sie ins Schwarze getroffen, wie das erleichterte Aufatmen bewies. »Wenn Sie wollen, sagen Sie es mir. Ich kann jederzeit behaupten, die Kleinen hätten da etwas von den Großen aufgeschnappt, ohne zu wissen, was es bedeutet und ohne sagen zu können, von wem es stammt.«
»Würden Sie das tun?«
Blicke flogen hin und her, ein letztes bekräftigendes Nicken, dann rückten sie mit der Sprache heraus.
»Es gibt da einen gewissen Robert Banken. Der ist letztes Jahr durchs Abi gesegelt und hat schon vorher gedroht, es dem Wohlfang heimzuzahlen. Überall hat er rumgepöbelt, in der Klasse, auf den Fluren, auf dem Hof. Am Schluss hat ihn der Hausmeister rausgeworfen – mit Gewalt. Natürlich kennt der sich im Gebäude und im Lehrerzimmer aus.«
Ihre anfängliche Unsicherheit war verflogen. Die jungen Damen wirkten selbstbewusst, wenn nicht sogar überheblich. Mit Markenklamotten bekleidet, ein Handy am Gürtel, schienen sie keinen armen Familien zu entstammen.
»Das scheint zumindest ein Motiv zu sein, Frau äh ...?«
»Sagen Sie Alina.«
Helga nickte. Sie interessierte das Wissen der Schüler über den Fall.
»Wir haben gehört, er wurde vergiftet und dass es in der Schule passiert ist. Deshalb kann das Gift nur in seinem Kaffee gewesen sein. Er hat oft genug von seiner mexikanischen Kaffeemischung erzählt und sie als Beispiel für seine Offenheit und Toleranz anderen Völkern gegenüber angeführt. Diese Art von Logik ist sicher diskutabel, aber das müssen wir ja nicht jetzt und hier besprechen.« Die Arroganz der Schülerin, die sich als Evelyn vorgestellt hatte, berührte Helga unangenehm. Am liebsten hätte sie widersprochen. »Zurück zu Robert«, sagte sie deshalb energisch. »Ein Lehrer allein kann doch nicht schuld sein, wenn jemand das Abi nicht schafft. Da sind schließlich noch eine Menge anderer beteiligt.«
Alina musterte sie fast mitleidig. »Also, der Wohlfang, der gab Sport und Deutsch. Wer in Sport gut war, war es automatisch auch in Deutsch. Umgekehrt sah das anders aus. Robert war kein Sportler, nicht einmal theoretisch. Ihn interessierten weder die Ergebnisse der Bundesliga noch die der Hagener Mannschaften, weder Fußball noch Basketball oder Tennis. Nichts. Er lebte irgendwie in seiner eigenen Welt. Er schrieb Geschichten, hauptsächlich Fantasy. Die waren echt cool. Aber weil Wohlfang ihn nicht leiden mochte,
Weitere Kostenlose Bücher