Renner & Kersting 03 - Mordsgier
stehen geblieben und haben zugehört. Und dann hat einer etwas gesagt von ... von Erpressung ... glaube ich.« Fragend sah sie zur Lehrerin hoch. Helga nickte nur. »Und dann?«
»Dann hat der gesagt, ich bring dich um. Und dann sind wir beide weggelaufen, weil ... der hat so komisch geguckt ... und ich hatte Angst.«
Helga zog das Mädchen an sich. »Es ist gut, du brauchst keine Angst zu haben. Aber lauft nicht mehr durch das Gebäude, und bleibt auf unserem Schulhof. Die Polizei wird herausfinden, ob der Mann das wirklich ernst gemeint oder nur so gesagt hat. Du brauchst dir jedenfalls keine Sorgen zu machen. Ich passe auf euch auf. Aber ihr müsst versprechen, in der Nähe zu bleiben. Einverstanden?«
Erleichtert zog das Mädchen ab. Und Helga besaß wieder etwas mehr Stoff zum Nachdenken. Wer hatte wen erpresst? Vermutlich Wohlfang den Thode, wenn der mit Mord gedroht hatte. Aber wie sollte sie herausfinden, was Wohlfang gegen Thode in der Hand gehabt hatte? Sie konnte schlecht hingehen und fragen. Während sie sich noch den Kopf zerbrach, klingelte es, und die Kinder strömten zusammen.
An diesem Morgen saß Ali noch lange, nachdem die Kinder bereits fort waren, am Küchentisch. Sie trank lauwarmen Kaffee und rauchte die fünfte oder sechste Zigarette. Jetzt bedauerte sie, ihre Aktivitäten so radikal gekürzt zu haben. Wenn sie nicht verrückt werden wollte, musste sie etwas tun. Schwerfällig zog sie sich an der Tischkante hoch, deckte ab und räumte das benutzte Geschirr in die Spülmaschine. Doch das bisschen Bewegung reichte längst nicht aus, ihre innere Unruhe zu vertreiben. Ihr fiel Robert Banken ein. Über den wussten sie entschieden zu wenig. Er hatte ein Motiv, er kannte sich in der Schule aus, seine Eltern besaßen einen großen Garten, und in der Garage standen Dosen mit Pflanzenschutzmitteln. Sie beschloss, nach Berchum zu fahren und sich dort ein wenig umzuschauen.
Bankens Haus fand sie schnell. Das Garagentor war geschlossen, hinter den Gardinen keine Bewegung zu erkennen. Doch vor dem Haus parkte eine Rostlaube, die scheinbar nur noch von der Farbe zusammengehalten wurde. Ein für einen Anfänger durchaus passendes Auto, wie Ali fand. Sie schlenderte durch die engen Gassen, vor Bankens Haus konnte sie nicht stehen bleiben, wartete eine Weile an der Bushaltestelle, wobei sie auf jeden Wagen achtete, der aus dem Ergster Weg kam, spazierte über den Dorfplatz und ging zwischendurch immer mal wieder an besagtem Haus vorbei. Allmählich wurde ihr langweilig. Verdammt, warum hatte sie nicht vorher telefoniert, um sich zu vergewissern, ob Robert überhaupt daheim war? Aber das ließ sich ja problemlos nachholen. Sie benutzte die gleiche Ausrede wie Helga, als sie nach Robert fragte.
»Robert? Ja, das ist mein Sohn. – Nein, vom Internet verstehe ich nichts. – Was wollen Sie? Ihn sprechen? Der ist nicht mehr da. Das heißt ... warten Sie, ich schau’ mal, ob ich ihn noch erreiche. Er ist gerade rausgegangen, um in die Schule zu fahren. Er hat heute erst später Unterricht, weil ein Lehrer erkrankt ist und ...« Den Rest hörte Ali schon nicht mehr. Im Laufschritt eilte sie die Straße entlang. Und richtig. Mutter Banken stand winkend und rufend mit dem Telefon in der Hand vor der Haustür, während der schrottreife Kombi nach mehreren vergeblichen Anlassversuchen sich stotternd in Bewegung setzte. Ali raste zurück, warf sich in ihr Auto, glücklicherweise stand es in Fahrtrichtung, und ließ den Motor an. Wo immer der Junge auch hinfuhr, in die Schule ganz sicher nicht. Ihre Neugier war geweckt. Sie folgte ihm entlang der Lenne bis zur Auffahrt auf die A1. Es war nicht einfach so dicht hinter ihm zu bleiben. Doch selbst wenn er Verdacht schöpfen sollte ... was konnte er tun? Eine höhere Geschwindigkeit gab die alte Karre nicht her. Die Abfahrten nach Wetter und Gevelsberg flogen an ihr vorbei. Ali nahm Gas weg. Allzu auffällig wollte sie schließlich auch nicht agieren. Doch das stellte sich sofort als schwerer Fehler heraus. Ein LKW mit Anhänger setzte sich erst neben, dann vor sie. Bis zum Wuppertaler Kreuz war es nicht mehr weit. Dort brauchte sie unbedingt Sichtkontakt. Überholen schien fast ausgeschlossen. Eine lange Kolonne zog neben ihr vorbei. Nach dem ersten Hinweisschild wurde sie nervös. Sie musste links rüber, unter allen Umständen. Blinker raus und los. Hinter ihr flammte eine Lichthupe auf. Egal. Rauf aufs Gas und den LKW überholen! Geschafft. Vor ihr fuhr ein
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