Renner & Kersting 03 - Mordsgier
selbst nicht so genau.
Irgendwann, als die Kaffeetasse längst leer war, spürte sie, wie der Ärger allmählich nachließ. Der Schreibtisch und eine Menge ungeliebter Arbeit warteten. Dankbar für die Störung hörte sie das lang anhaltende Klingeln, das sie an die alten Zeiten mit Ali erinnerte. Und tatsächlich war es Ali, die ungestüm Einlass begehrte.
Noch bevor sie ihren Mantel ablegte, sprudelte sie schon heraus: »Endlich bist du mal zuhause! Wo treibst du dich nachmittags bloß immer rum? Ich habe gestern den ganzen Tag versucht, dich zu erreichen.« Sosehr Helga sich freute, die alte Ali wieder zu sehen, diese Bemerkungen ließen ihre Laune wieder auf den Nullpunkt sinken.
»Leg erst mal ab. Hier ist ein Bügel.«
»Ja, äh, danke.« Mit dem Bügel in einer Hand war das nicht so einfach. Sie brauchte schon fast gymnastische Verrenkungen, um einen Arm aus dem Ärmel zu bekommen, hängte dann kurz entschlossen den Bügel wieder an den Haken und zog den Mantel ganz aus. »Du weißt doch, ich musste am Samstag zu Lena, du ahnst nicht, was ich da gesehen ... Mist!« Da sie auch mit den Händen redete, lagen Hut und Schal plötzlich am Boden.
»Komm’ rein. Und dann erzähl’ alles in Ruhe.« Trotz der verunglückten Begrüßung bot Alis Eifer genau die richtige Medizin für Helga. Wie gewohnt ging sie in die Küche und füllte die Kaffeemaschine. Ali, die ihr gefolgt war, holte Sahne und Zucker, trug beides ins Wohnzimmer und deckte den Tisch. Dabei fand sie Helgas benutzte Tasse, beäugte den Kaffeeschaum, der sich an der Innenwand festgesetzt hatte, und fragte missbilligend: »Wieso trinkst du Cappuccino aus der Tüte? Der schmeckt doch nur nach Kunst.« Mit spitzen Fingern nahm sie die Tasse und trug sie in die Küche.
»Hör auf zu meckern. Ich mag ihn nun mal.« Sie stockte. Eigentlich stimmte das gar nicht mehr. Früher einmal, da hatte sie ihn gern getrunken, jetzt war es Gewohnheit geworden. Immer dann, wenn sie schnell eine Tasse Kaffee wollte, griff sie zum löslichen Cappuccino. Ob es Wohlfang mit seinem Kaffee ähnlich ergangen war? Dann konnte er die Veränderungen, die das Gift hervorgerufen hatte, gar nicht bemerken, weder im Geschmack noch im Aussehen. Er hatte das Zeug geschluckt, ohne wirklich zu schmecken, was er da trank.
»Oh je, du klingst als hättest du schlechte Laune.«
»Habe ich. Hat aber nichts mit dir oder dem Fall zu tun.« Nach kurzem Zögern erzählte sie Ali von Verenas Strichliste.
»Ach du liebe Zeit! Mach’ dir nichts draus. Ich kenne die Alte. Die hat Zoff mit der gesamten Nachbarschaft, zumindest mit dem größten Teil der Nachbarschaft. Offensichtlich hat sie ja nun jemand mit gleicher Wellenlänge gefunden. Gar nicht drum kümmern. Ist nur schade um Verena. Ich wundere mich immer wieder, dass das Mädchen trotz der entsetzlichen Mutter so nett ist.«
Einen wirklichen Trost bedeuteten Alis Worte nicht, halfen aber ein wenig, Helga aufzumuntern. »Was hast du bei deinem Patenkind gesehen?«
Nach einer kurzen, theatralischen Pause: »Leuchtende Eiswürfel!«
»Ach?« Helga verstand nur Bahnhof. »Und deswegen wolltest du mich gestern unbedingt sprechen? Ich meine, ich verstehe durchaus, dass du überrascht bist. Dass Eiswürfel leuchten, passiert ja nicht alle Tage. Etwas ungewöhnlich, würde ich sagen.«
»Nun hör schon mit diesem Unsinn auf! Sieh dir lieber das hier an.« Und Ali warf mit herausfordernder Geste eine Visitenkarte auf den Tisch. »Ich weiß jetzt, was der Banken in Düsseldorf abgeholt hat und was er in der Garage versteckt, wovon seine Mutter nichts wissen darf.«
»Doch nicht leuchtende Eiswürfel?«
»Genau. Und wisch dir dieses spöttische Grinsen aus dem Gesicht. Ich weiß, wovon ich rede. Lena hat mir schließlich ganz stolz ihre neue Errungenschaft vorgeführt. Das Zeug besitzt innen eine LED-Leuchte samt Mikrobatterie. Jetzt stell’ dir diese leuchtenden Würfel oder Stäbe, die gibt es auch, in Gläsern, Cocktails oder Blumenvasen vor, das sieht irre aus. Diesen und ähnlichen Schnickschnack verkauft der Banken auf Märkten und Flohmärkten. Er und Lena sind etwa im gleichen Alter und haben sich schon häufiger miteinander unterhalten. Daher weiß ich, dass der Banken mit seinem Marktstand nicht schlecht verdient, ganz zufrieden mit seinem Job ist und Schule nur noch blöd findet. Nur dürfen seine Alten das nicht erfahren, die wissen nämlich noch gar nicht, dass er die Schule geschmissen hat. Womöglich würden die ihn
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