Renner & Kersting 03 - Mordsgier
uns auf den ersten Blick sympathisch und haben uns gut verstanden, richtig gut, nicht nur, wie das unter Nachbarn üblich ist. Die Frauen haben sich bei besonderen Gelegenheiten gegenseitig die Kleider geliehen oder bei plötzlichem Besuch auch mal den Kuchen aus dem Ofen geholt, die Kinder gingen gerne rüber, und wenn ich ein offenes Ohr brauchte, Theo und Gerlinde waren da. Ich hatte das Gefühl, mit den beiden über alles reden zu können. Bis letzten Herbst. Ali und ich hatten ihren neuen Partykeller besichtigt und natürlich gleich entsprechend eingeweiht, das heißt, wir waren alle ziemlich angetrunken, als Theo plötzlich auf die blödsinnige Idee kam, mit Ali ins Bett gehen zu wollen. Er meinte es nicht als Witz unter Freunden sondern richtig ernst. Ich war im ersten Moment sprachlos und hab’ ihr die Entscheidung überlassen. Ich dachte, ich könnte ihr vertrauen, sie würde das Richtige tun. Verdammt! Verdammt! Wie konnte ich so dusselig sein. Was macht diese Frau? Sagt ja! Einfach so. Können Sie sich das vorstellen? Eine verheiratete Frau, die sich in Gegenwart ihres Mannes mit einem anderen darüber unterhält, wann und wo sie miteinander schlafen wollen? Als würde ich ihr nichts mehr bedeuten. Als wäre ihr unsere Beziehung völlig gleichgültig. Ich begreife nicht, wie man so sein kann.« Wieder ein tiefer Seufzer. Ein Griff zum Glas und Kopfschütteln, als Helga nachschenken wollte. »Lieber nicht. Jedenfalls, damit fing die ganze Misere an.«
Helga sagte nichts. Sie wusste, dass die Misere bereits viel früher begonnen hatte, als Ali nämlich feststellte, dass sie ihren Herbert nicht mehr liebte. Dass die große Liebe von einer Sekunde zur nächsten plötzlich weg war, verschwunden – und zwar spurlos.
»Na ja, da habe ich es auch mit Gerlinde getan. Warum nicht? Sie bot sich mir an. Und Ali tat es ja mit Theo. Dabei waren wir, Ali und ich, glücklich, doch wenn’s dem Esel zu gut geht ...« Er seufzte wieder, schwieg einen Moment, um dann fortzufahren. »Das war der Anfang vom Ende. Seitdem ist nichts mehr, wie es früher war. Ali geht mir aus dem Weg. Ich weiß nicht, ob sie immer noch mit Theo schläft. Die Kinder sind sich selbst überlassen. – Und ich? Ich komme mir vor wie der letzte Hampelmann.«
»Nun mal langsam. Ich glaube, es gibt einige Missverständnisse aufzuklären. Ihre Großzügigkeit, Ali die Entscheidung zu überlassen, hat diese so verstanden, dass es Ihnen gleichgültig ist, ob sie mit dem Mann schläft oder nicht. Nur deshalb hat sie es getan. Und außerdem ist sie der Meinung, dass Sie Gerlinde heiraten wollen.«
»Gerlinde? Du lieber Himmel! Wir verstehen uns gut. Sie hat mich aufgerichtet, als Ali mit ihrem Mann ins Bett ging. Wir haben dann versucht, eine Art Ausgleich zu schaffen, haben uns gegenseitig getröstet. Schließlich war es sein Wunsch, seine Idee. Die beiden haben ihre Ehe schon immer sehr freizügig geführt, in jeder Beziehung. Vor allem Theo. Während Gerlinde ... Ich glaube, sie leidet unter seinen Affären. Sie ist eine großartige Frau, voller Verständnis und Liebe, aber ...« Er schüttelte den Kopf. Damit schien eine Sache schon mal geklärt.
»Warum haben Sie das Ali nicht längst gesagt? Die glaubt nämlich, dass Sie die Scheidung wollen.«
»Ich weiß nicht mehr, wer das Wort zuerst ausgesprochen hat, vielleicht war ich es, aber wollen will ich sie nicht. Ich mein ... verdammt, wir sind so lange zusammen, da geht man nicht bei einem Streit einfach auseinander. Ich weiß«, beeilte er sich, hinzuzufügen, als er merkte, dass Helga etwas sagen wollte. »Ich weiß, es ist so schrecklich einfach, sich zu trennen. Keine schmutzige Wäsche. Trennungsjahr einhalten und fertig. Viele tun es. Aber wir haben versprochen, auch in schlechten Zeiten zueinander zu stehen. Und ich will die Kinder behalten. Ich will kein Wochenend-Vater sein. Ich liebe Franziska und Veronika.«
»Und Ali?«
Am liebsten hätte er gesagt, dass sie das nichts angehe, aber nachdem er sie um Hilfe gebeten hatte, konnte er jetzt keinen Rückzieher machen. »Na ja, nicht mehr so wie früher. Wir sind älter geworden. Aber ...« Er zögerte. »Aber ich mag sie immer noch. Sie ist meine Frau«, schloss er bestimmt.
Helga unterdrückte ein Lachen. »Dann gibt es doch keine Probleme. Ali möchte auch keine Scheidung. Auch bei ihr ist es keine Liebe mehr, doch da sind die Kinder, das Haus, Gewohnheit und Bequemlichkeit. Hätten Sie früher miteinander geredet, wäre Ihnen vieles
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