Replay - Das zweite Spiel
Einheimischen, gleich ob jung oder alt, verachteten die extravagante Nonkonformität in Erscheinung und Auftreten der Bard-Studenten und erzählten sich Geschichten - manche davon zutreffender, als sie sich je hätten träumen lassen, dachte Pam amüsiert - von zügellosem Drogenmissbrauch und sexueller Promiskuität auf dem Campus.
Hin und wieder kamen die jungen Stadtburschen ins Adolph’s und versuchten, die ›Hippie-Girls‹ aufzureißen. An diesem Abend waren aber offenbar keine Städter da, bemerkte Pam erleichtert, abgesehen von dem einen komischen Typ, der schon das ganze Jahr über auf dem Campus herumhing, aber der schien okay zu sein. Er war ein Einzelgänger und sehr still, er hatte nie jemandem Ärger gemacht. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass er sie beobachtete. Er lief ihr nicht gerade nach oder so, tauchte aber mehrmals die Woche an Orten auf, die auch sie regelmäßig aufsuchte: in der Bibliothek, in der Galerie der Kunstabteilung, hier in der Bar … Jedenfalls hatte er sie nie belästigt, sie nicht einmal angesprochen. Manchmal lächelte er und nickte, und sie lächelte zurück, nur ganz schwach, um kundzutun, dass sie sich gegenseitig bemerkt hatten. Yeah, er war okay - mit längerem Haar wäre er sogar attraktiv gewesen.
Die Jukebox spielte ›Dance to the Music‹ von Sly and the Family Stone, und die Tanzfläche im Vorderraum war überfüllt. Pam, Ellen und Peter bahnten sich einen Weg durch das Gewühl und hielten nach einem Sitzplatz Ausschau.
Pam war immer noch stoned. Auf dem Weg vom Campus hierher hatte sie noch einen Joint geraucht, und die farbenprächtige, wilde Szenerie in der Bar kam ihr plötzlich wie ein Gemälde vor - oder vielmehr wie eine ganze Reihe von Gemälden. Als Schlaglicht eine wirbelnde gefranste Weste hier, ein langer schwarzer Haarschopf dort, die Gesichter und die Musik und der Lärm … ja, sie hätte die Geräusche dieses so angenehm vertrauten Orts gern auf Film eingefangen, sie ins Visuelle übertragen, auf die gleiche Art, wie die synästhetische Transformation in ihrem Kopf ablief, wenn sie stoned war. Sie blickte in der Bar umher, pickte sich Leute und Einzelheiten heraus, dann blieben ihre Augen an dem seltsamen Typ hängen, auf den sie immerzu stieß.
»Hey«, sagte sie, Ellen anstoßend, »weißt du, wen ich gern malen würde?«
»Wen?«
»Den Typ dort drüben.«
Ellen blickte in die Richtung, in die Pam diskret zeigte. »Welchen? Du meinst doch nicht diesen ordentlichen Typ, oder? Den Stadtmenschen?«
»Yeah, den. Er hat so was in den Augen. Sie sind … Ich weiß nicht, es ist, als wären sie uralt oder so, als wäre er ein ganzes Stück älter, als er wirklich ist, und hätte schon so viel gesehen…«
»Klar«, sagte Ellen mit anzüglichem Sarkasmus. »Er ist wahrscheinlich ein Ex-Marine und hat ’ne Menge tote Babys und Frauen gesehen, die er in Vietnam gekillt hat.«
»Redest du schon wieder von der Tet-Offensive?«, fragte Peter.
»Nein, Pam ist scharf auf so ’nen Stadtmenschen.«
»Pervers.« Peter lachte.
Pam errötete verärgert. »Das hab ich nicht gesagt. Ich sagte bloß, er hätte interessante Augen, und ich würde sie gern malen.«
Aus der Jukebox ertönte ›Dock of the Bay‹, und die meisten Tänzer gingen zu ihren Tischen zurück. Pam fragte sich, wer wohl den melancholischen Otis-Redding-Song ausgewählt hatte, dieses selbstironische Trauergedicht, das erst nach dem Tod des Sängers veröffentlicht worden war. Vielleicht war es ja der Typ mit den seltsamen Augen gewesen. Sie konnte sich gut vorstellen, dass er auf diese Art Musik stand.
»Wastin’ tiiime …«, sang Peter mit, dann grinste er schelmisch. Er streifte die Armbanduhr ab und warf sie mit einer theatralischen Geste in den halbvollen Bierkrug. »Wir ertränken die Zeit«, erklärte er und hob das Glas, stieß mit den anderen an.
»Bobby hascht angeblich«, bemerkte Ellen, als sie auf den Toast getrunken hatten. »Bekommt sein Gras vom selben Dealer, der die Stones versorgt, wenn sie hier sind.«
Jetzt waren sie bei einem von Peters Lieblingsthemen angelangt. »Es heißt, R. J. Reynolds hat insgeheim … wie heißt das richtige Wort dafür, patentiert? Die ganzen guten Markennamen.«
»Namensschutz beantragt.«
»Richtig, richtig, Namensschutz beantragt. ›Acapulco Gold‹, ›Panama Red‹… die Zigarettenleute haben sich die ganzen guten Namen gekrallt, für alle Fälle.«
Pam lauschte auf die vertrauten Geräusche, nickte interessiert. »Ich
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