Replay - Das zweite Spiel
hätte den Wagen heute Morgen woanders hinfahren sollen, entsprechend den auf dem Schild ausgewiesenen Parkzeiten.
Er setzte sich hinters Steuer. Die Atmosphäre und der Geruch des Wagens riefen ein Schwindel erregendes Durcheinander von Erinnerungen wach. Er hatte Hunderte, vielleicht Tausende von Stunden auf diesem ramponierten Sitz zugebracht: in Drive-In-Kinos und -Restaurants zusammen mit Judy, auf Fahrten mit Martin und anderen Freunden oder auch allein - nach Chicago, Florida, einmal sogar bis hinunter nach Mexico City. In diesem Wagen war er vom Halbwüchsigen zum Erwachsenen gereift, mehr als in jedem Wohnheimzimmer oder Apartment oder jeder Stadt. Er hatte darin gevögelt, sich darin betrunken, war damit zum Begräbnis seines Lieblingsonkels gefahren, hatte den temperamentvollen, kräftigen Motor dazu benutzt, um Zorn, Freude, Niedergeschlagenheit, Langeweile, Reue auszudrücken. Er hatte dem Wagen nie einen Namen gegeben, das hätte er kindisch gefunden; jetzt aber begriff er, wie viel er ihm bedeutet hatte, wie sehr seine eigene Identität mit der schrulligen Persönlichkeit des alten Chevys verwoben war.
Jeff steckte den Zündschlüssel ins Schloss und ließ den Wagen an. Der Motor hatte eine Fehlzündung, dann erwachte er grollend zum Leben. Er wendete und bog hinter dem halb fertigen Klotz des Communicative Disease Centers - dem Institut für übertragbare Krankheiten - rechts auf die Clifton Road ein. In den Achtzigern würde man es immer noch CDC nennen, doch dann stünden die Initialen für Center of Disease Control, und das Institut für Seuchenbekämpfung würde weltberühmt sein für seine Forschungen an solch grauenerregenden Zukunftsseuchen wie der Legionärskrankheit und Aids.
Die Zukunft: Schreckliche Seuchen, eine erst erkämpfte, dann wieder rückgängig gemachte Revolution des Sexualverhaltens, Triumph und Tragödie im Weltraum, von Punks in Leder und Ketten, mit abstehendem pinkfarbenem Haar und leerem Blick heimgesuchte Städte, Todesstrahlen im Orbit, die luftverschmutzte, erstickende Erde … Gott, dachte Jeff erschauernd, aus dieser Perspektive erscheint meine Welt wirklich wie die albtraumhafteste Science Fiction. In vielerlei Hinsicht hatte die Realität, an die er sich gewöhnt hatte, mehr mit Filmen wie Blade Runner gemein als mit der sorglosen Naivität des Frühlings im Jahr 1963.
Er stellte das Radio an: Prasselnde Mittelwelle in Mono, UKW war auf der Skala gar nicht vorhanden. ›Our Day Will Come‹ schmachteten Ruby und die Romantics ihn an, und Jeff lachte laut auf.
An der Briarcliff bog er nach links ab, fuhr ziellos durch die schattige Wohngegend westlich des Campus. Nach einer Weile wurde die Straße zur Moreland Avenue, und er fuhr weiter, vorbei am Inman Park und am Bundesgefängnis, in dem Al Capone seine Strafe abgesessen hatte. Die Straßenschilder verschwanden, und dann war er auf dem Macon Highway und fuhr Richtung Süden.
Das Radio leistete ihm mit einem unaufhörlichen Strom von Beatles-Vorläuferhits Gesellschaft: ›Surfin USA‹, ›1 Will Follow Him‹, ›Puff, the Magic Dragon‹. Jeff sang alle Songs mit, als hörte er einen Oldie-Sender. Er brauchte nur einen anderen Knopf zu drücken, sagte er sich, und würde Springsteen hören oder Prince oder einen Jazzsender, der den neuesten Pat-Metheny-Hit spielte. Schließlich wurde der Empfang schwächer, und auch seine Phantasie erschlaffte. Außer der gleichen veralteten Musik war quer über die ganze Skala einfach nichts zu finden. Sogar die Countrysender hatten noch nie etwas von Willie Nelson oder Waylon Jennings gehört; nichts als Ernest Tubbs und Hank Williams, keine einzige Ausnahme in dem ganzen Gedudel.
Hinter McDonough kam er an einem Straßenstand vorbei, wo Pfirsiche und Wassermelonen verkauft wurden. Er und Martin hatten bei einer ihrer Floridafahrten an einem Stand genau wie diesem angehalten, hauptsächlich wegen des langbeinigen Farmmädchens in weißen Shorts, das die Früchte verkauft hatte. Sie hatte einen großen deutschen Schäferhund bei sich gehabt, und nach einigem nutzlosen Geplänkel zwischen Stadtjungs und Mädchen vom Lande hatten er und Martin ihr einen ganzen Korb Pfirsiche abgekauft. Sie hatten die verdammten Dinger gar nicht gewollt, schon nach etwa dreißig Meilen wurde ihnen vom Geruch übel, und sie hatten sie für Zielübungen auf Verkehrszeichen benutzt und das Kladderadang, das nach einem erfolgreichen Wurf ertönte, mit alberner Ausgelassenheit bejubelt.
Wann war
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