Replay - Das zweite Spiel
Mädchens war irgendwie entmutigend, deshalb nahm er auf einem der unbequemen Sofas im angrenzenden Warteraum Platz, wo eine Brünette mit Pferdeschwanz und ihr Freund auf einem alten Steinway neben dem Kamin ›Heart and Soul‹ spielten. Die Brünette winkte Jeff lächelnd zu, als er den Raum betrat. Er hatte keine Ahnung, wer sie war, wahrscheinlich eine Freundin von Judy, die er längst vergessen hatte, doch er nickte und erwiderte ihr Lächeln. Acht oder neun weitere junge Männer saßen in der auf vornehm getrimmten Lounge verteilt, jeder in respektvollem Abstand zu den anderen. Zwei von ihnen hatten einen Strauß Schnittblumen dabei, und einer hielt eine herzförmige Dose mit Whitman’s-Konfekt in Händen. Alle trugen einen stoischen Gesichtsausdruck zur Schau, der ihre lüsterne, aber nervöse Erwartung nur unzureichend zu verbergen vermochte: Freier am Tor zum Tempel der Aphrodite, unerprobte Anwärter auf die Gunst der Nymphen im Innern der Festung. Die Nacht der Rendezvous, 1963.
Jeff erinnerte sich an das Gefühl nur allzu gut. Sogar jetzt, stellte er sarkastisch fest, waren seine Handflächen feucht vor Anspannung.
Vom Treppenhaus her ertönte helles Gelächter und strömte in die Lobby. Die jungen Männer strafften ihre Krawattenknoten, sahen auf ihre Armbanduhren, drückten Haarbüschel zurecht. Zwei Mädchen kamen herein, entdeckten ihre Begleiter und führten sie durch die Tür in die geheimnisvolle Nacht hinaus.
Es dauerte zwanzig Minuten, bis Judy erschien, mit einer Miene, die offenbar kalte Entschlossenheit demonstrieren sollte. Jeff aber hatte nur Augen für ihre unglaubliche Jugend, eine frühlingshafte Zartheit, die weit über die bloße Tatsache hinausging, dass sie noch ein Teenager war. Mädchen - Frauen - ihres Alters sahen in den 80er Jahren anders aus, wurde ihm klar. Sie waren einfach nicht so jung, so unschuldig; waren es seit den Tagen von Janis Joplin nicht mehr gewesen und bestimmt nicht in der Nachfolge von Madonna.
»So«, sagte Judy. »Ich freue mich, dass du es heute Abend geschafft hast.«
Jeff erhob sich unbeholfen, schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln. »Tut mir wirklich Leid wegen gestern Abend. Ich … hab mich nicht besonders gut gefühlt, ich war in einer komischen Stimmung. Du hättest mich nicht um dich haben wollen.«
»Du hättest anrufen können.« Sie hatte die Arme unter den Brüsten verschränkt, wodurch sie die züchtigen Schwellungen unter der Peter-Pan-Bluse betonte. Um den Arm hatte sie sich einen beigen Kaschmirpulli geschlungen; bekleidet war sie mit einem Madrasrock und Schuhen mit Fesselriemen und flachen Absätzen. Jeff nahm die Geruchsmischung aus Lavin-Parfüm und einem Shampoo mit Blumenduft wahr und stellte fest, dass ihn die blonden Fransen, die über ihren großen blauen Augen tanzten, in Entzücken versetzten.
»Ich weiß«, sagte er. »Ich wünschte, ich hätte es getan.«
Ihr Gesicht entspannte sich - die Konfrontation war vorüber, ehe sie begonnen hatte. Sie konnte nie lange böse sein, erinnerte sich Jeff.
»Du hast gestern Abend einen wirklich guten Film verpasst«, sagte sie ohne eine Spur von Verdrossenheit. »Er fängt damit an, dass die junge Frau in einer Tierhandlung diese Vögel kauft, und dann tut Rod Taylor so, als arbeite er dort, und…«
Während sie nach draußen gingen und in Jeffs Chevy einstiegen, fuhr sie mit ihrer Zusammenfassung fort. Er täuschte Unwissenheit gegenüber den Wendungen der Geschichte vor, obwohl er den Film kürzlich erst in einer der regelmäßigen Hitchcock-Retrospektiven auf HBO gesehen hatte.
Außerdem hatte er ihn gesehen, als er gerade im Kino angelaufen war, und zwar zusammen mit Judy. Vor fünfundzwanzig Jahren gestern Abend - in jener anderen Version seines Lebens.
»… und dann geht der Typ sich an der Tankstelle eine Zigarre anzünden, aber … also, ich will dir nicht alles erzählen, was dann noch passiert, es würde dir die Spannung verderben. Es ist ein wirklich schauriger Film. Es würde mir nichts ausmachen, ihn noch mal zu sehen, wenn du Lust hast. Oder wir könnten uns Bye Bye Birdie ansehen. Worauf hast du Lust?«
»Ich glaube, ich würde lieber nur irgendwo sitzen und reden. Irgendwo ein Bier trinken, vielleicht einen Happen essen?«
»Klar.« Sie lächelte. »Moe’s and Joe’s?«
»Okay. Das liegt… auf der Ponce DeLeon, richtig?«
Judy hob eine Braue. »Nein, das ist das Manuel’s. Erzähl mir nicht, du hast es vergessen - fahr hier links, gleich hier!« Sie
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