Replay - Das zweite Spiel
für ziemlich unwahrscheinlich, dass er hier jemanden von Emory treffen würde. Es war eine Trinkerbar, ein Treffpunkt für ein älteres, ruhigeres Publikum, das eine Zeit lang den trüben Gedanken an Hypotheken und langweilige Ehen zu entfliehen suchte. Jeff fühlte sich ganz wie zu Hause, obwohl er wusste, dass er nicht so aussah, als passe er zur Kundschaft; der Barkeeper wollte sogar seinen Ausweis sehen, und Jeff fand tatsächlich das gefälschte Dokument, das er für seltene Gelegenheiten wie diese hinten in der Brieftasche stecken hatte. Mit einem skeptischen Brummen brachte ihm der Barkeeper einen doppelten Jack Daniels und entfernte sich wieder, um an der Einstellung des Schwarzweißfernsehers über der Bar herumzufummeln.
Jeff nahm einen großen Schluck von dem Whisky und starrte dann auf die Nachrichten: In Birmingham gab es neue Unruhen; Jimmy Hoffa war in Nashville wegen Geschworenenbestechung angeklagt worden; Telstar II würde bald starten. Jeff dachte an Martin Luther Kings Tod in Memphis, an den auf mysteriöse Weise vom Erdboden verschluckten Hoffa und einen Himmel voller Kommunikationssatelliten, die den Planeten mit MTV und Wiederholungen von Miami Vice überschwemmten. O schöne neue Welt!
Der Abend mit Judy hatte so gut angefangen, doch die Auseinandersetzung im Wagen hatte bei ihm ein Gefühl von Niedergeschlagenheit zurückgelassen. Er hatte vergessen, wie verklemmt der Sex früher gewesen war. Nein, nicht vergessen - er hatte es nie ganz begriffen, schon damals nicht, als er alles zum ersten Mal erlebte. Die Unaufrichtigkeit war hinter der Glut der neu entdeckten Gefühle, der naiven, doch unwiderstehlichen sexuellen Gier gut verborgen gewesen. Was einmal wundersam erotisch erschienen war, stand jetzt in all seiner fundamentalen Billigkeit entblößt da, ungetrübt durch die zeitliche Distanz: ein eiliges Abwichsen auf dem Vordersitz eines Chevrolets, mit schlechter Musik im Hintergrund.
Was, zum Teufel, sollte er jetzt tun? Einfach mitspielen? Sich beim Petting aufgeilen, mit einer kleinen Blondine aus einer anderen Zeit, die von der Pille noch nie gehört hatte? Wieder Vorlesungen besuchen und zu Diskussionsrunden und Frühlingsbällen gehen, als wäre das alles neu für ihn? Statistische Tabellen auswendig lernen, die er längst vergessen hatte und die ihm nie von Nutzen gewesen waren, nur damit er in Soziologie mit einer guten Note abschnitt?
Nun, falls sich dieser unglaubliche, groteske Zeitsprung als dauerhaft herausstellte, hatte er vielleicht gar keine andere Wahl. Vielleicht würde er wirklich alles noch einmal durchmachen müssen, ein quälendes, vorhersagbares Jahr nach dem anderen. Die alternative Realität wurde zusehends konkreter, verfestigte sich immer mehr. Jene andere Persönlichkeit seiner selbst war jetzt die falsche. Er musste sich damit abfinden, dass er ein College-Erstsemester war, achtzehn Jahre alt, abhängig von seinen Eltern und seiner Fähigkeit, ein Dutzend akademischer Kurse, die bei ihm inzwischen Verachtung und unendliche Langeweile hervorriefen, erfolgreich zu wiederholen.
Die Fernsehnachrichten waren vorüber, und ein Sportmoderator leierte eine Liste der Baseballergebnisse der AA-Liga herunter. Jeff bestellte einen weiteren Drink, und als der Barkeeper das neue Glas brachte, heftete sich seine Aufmerksamkeit plötzlich mit laserartiger Intensität an jedes einzelne Wort, das aus dem alten Sylvania drang.
»… kommen ungeschlagen nach Churchill Downs und haben zwei Grünschnäbel aus dem Osten dabei, die dem kalifornischen Braunen auf die Sprünge helfen könnten. Trainer Woody Stephens führt Never Bend nach einem ordentlichen Sieg bei der Stepping-Stone-Vorrunde und mit guten Leistungen im Jahr ’63 frisch ins Derby. Stephens will nicht so weit gehen, einen Sieg vorherzusagen, aber…«
Das Kentucky-Derby. Warum nicht, verdammt noch mal? Wenn er die nächsten fünfundzwanzig Jahre wirklich durchlebt hatte, anstatt sie sich bloß auszudenken oder von ihnen zu träumen, dann war eines klar: Er verfügte über einen riesigen Schatz an Informationen, die ihm von höchstem Nutzen sein konnten. Nichts Technisches - er konnte keinen Computer entwickeln oder etwas in der Art aber er besaß eine gewisse Berufserfahrung, das Wissen eines Journalisten um die Trends und Ereignisse, die die Gesellschaft von jetzt an bis zur Mitte der 80er Jahre beeinflussen würden. Er konnte eine Menge Geld machen, indem er auf Sportereignisse und Präsidentschaftswahlen
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