Replay - Das zweite Spiel
Begeisterung der kleinen April angesichts des alten gelben Samowars auf dem Gang des Eisenbahnwaggons. Die Schaffnerin hatte den Samowar mit kokelnden Torfbrocken am Kochen gehalten, hatte während der 6000-Meilen-Reise von Moskau nach Khabarowsk im Norden der Mandschurei unaufhörlich Gläser heißen Tees serviert. In die Metallhalter für die Gläser waren Bilder von Kosmonauten und Sputniks eingraviert gewesen. Am Ende der Reise hatte die Schaffnerin April zwei davon als Souvenir geschenkt. Jeff sah in der Erinnerung seine Adoptivtochter vor dem Kamin im Haus an der West Paces Ferry Road in Atlanta liegen und an einem Glas heißer Milch in einem dieser Halter nippen, nur eine Woche, bevor er gestorben war…
Er räusperte sich, blinzelte die Erinnerungen weg. Vielleicht wäre es am besten, sagte er sich, wenn er heute ein paar unangenehme Arbeiten erledigte, sich körperlich beschäftigte, anstatt bloß in der Hütte herumzusitzen und zu grübeln. Jetzt im Winter würde es noch genug solcher Tage geben.
Jeff spitzte die Ohren, glaubte einen Motor gehört zu haben. Nein, das konnte nicht sein. Niemand war so verrückt, sich vor dem Frühling hier herauszuwagen, es sei denn, Jeff setzte übers Kurzwellengerät einen Notruf ab. Aber da war es wieder, bei Gott, ein Heulen und Dröhnen, lauter als zuvor. Es hörte sich an, als käme jemand geradewegs seine Straße entlanggefahren.
Er zog einen Daunenparka an, setzte eine Wollmütze auf und trat ins Freie. Gab es drüben bei den Mazzinis irgendwelche Probleme? War jemand krank oder verletzt, brannte es vielleicht?
Ein Schimmer des Wiedererkennens durchfuhr ihn, als der dreckbespritzte Land Rover einen harten Schwenk nach links durch sein offenes Tor machte. Dann sah er das glatte blonde Haar der Fahrerin und wusste Bescheid.
»Morgen«, sagte Pamela Phillips und schwang einen gestiefelten Fuß auf das Trittbrett des robusten Geländewagens. »Eine Scheißzufahrt, die du da hast.«
»Gibt meistens nicht viel Verkehr hier.«
»Wundert mich nicht«, sagte sie und sprang herunter. »Sieht so aus, als wäre vor langer Zeit irgendein armer Teufel mit seinem Wagen auf eine Landmine gefahren.«
»Ich hab sagen hören, es sei ein Mann namens Hector gewesen, George Hector. Während der Prohibition hatte er eine transportable Destille auf seinem T-Modell montiert, fuhr damit von einem Ort zum ändern, damit er nicht erwischt wurde. Eines Nachts ging sie hoch.«
»Was war mit Hector? Ist er mit ihr zusammen in die Luft geflogen?«
»Er war offenbar unverletzt. Musste eine neue Destille bauen, aber er verzichtete darauf, sie umherzufahren. Wenigstens erzählt man sich das.«
»So viel zum innovativen Denken, hm?« Sie atmete tief die saubere, kalte Bergluft ein, stieß sie langsam wieder aus und sah ihn an. »Also schön. Wie ist es dir ergangen?«
»Es ging. Und dir?«
»Ziemlich beschäftigt, seit wir uns zum letzten Mal sahen. Das war … Gott, vor dreieinhalb Jahren.« Sie rieb heftig die Hände aneinander. »Hey, gibt es hier irgendwo einen Ort, an dem sich eine Dame aufwärmen kann?«
»Tut mir Leid. Komm rein, ich hab Kaffee gemacht. Du hast mich überrascht, das ist alles.«
Sie folgte ihm in die Hütte, zog die Jacke aus und nahm auf einem Stuhl neben dem Ofen Platz, während er Kaffee einschenkte. Mit einem fragenden Gesichtsausdruck hielt er die Rumflasche hoch, und Pamela nickte. Er gab einen Schuss der tiefgoldenen Flüssigkeit in eine Tasse und reichte sie ihr. Sie kostete, drückte mit Mund und Augenbrauen Zustimmung aus.
»Wie hast du mich gefunden?«, fragte er und nahm ihr gegenüber in einem Sessel Platz.
»Na, du hast mir erzählt, der Ort liege nahe Redding. Mein Anwalt sprach mit deinem Broker in San Francisco, und der war so freundlich, den Bereich ein wenig einzuengen. Als ich hierher kam, fragte ich in der Stadt herum. Es dauerte aber eine Weile, bis ich jemanden fand, der bereit war, mir den Weg zu beschreiben.«
»Man hat hier tiefen Respekt vor der Privatsphäre.«
»Das dachte ich mir.«
»Eine Menge Leute mögen es nicht, wenn jemand ohne Vorankündigung auf ihr Grundstück gefahren kommt. Besonders dann nicht, wenn’s ein Fremder ist.«
»Ich bin keine Fremde für dich.«
»Verdammt nah dran«, sagte Jeff. »Ich denke, das trifft es ganz gut, so wie wir in Los Angeles auseinander gegangen sind.«
Sie seufzte, strich geistesabwesend über den Schafsfellkragen der verblichenen Jeansjacke, die sie auf dem Schoß gefaltet hatte.
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