Reptilia
natürliche, gottgegebene Ordnung der Dinge verloren gegangen ist. Menschen, die sich an Begriffe wie Ethik und Moral klammern, Werte, die zwar für das Zusammenleben untereinander wichtig sein mögen, die aber in der Natur keinerlei Bedeutung haben. Glauben Sie im Ernst, Tiere oder Pflanzen handelten ethisch? Was also hätte es für einen Sinn, Ihnen erklären zu wollen, was ich vorhabe?«
»Aber Sie sind doch ein Mensch, oder irre ich mich da?«
Er lachte. »Nach Ihren Bewertungsmaßstäben wahrscheinlich nicht. Nächste Frage.«
»Wie genau haben Sie denn vor, das Gleichgewicht wieder herzustellen und mich und Mokéle aus dem Weg zu schaffen?«
Meine Stimme triefte vor Sarkasmus.
» Ganz einfach. Ich werde Sie bitten müssen, auf dem Floß Platz zu nehmen und dort zu warten. Es wird sicher nicht lange dauern, bis Sie Besuch bekommen.«
»Warum sollte Mokéle mich angreifen und nicht Sie?«
»Weil Sie, im Gegensatz zu mir, bis an die Zähne bewaffnet sein werden. Sehen Sie, Mr. Astbury, wenn ich etwas aus unserer Begegnung mit dem Kongosaurier gelernt habe, dann dass er auf jegliche Form von Waffen äußerst aggressiv reagiert.«
Ich spürte, wie mir unter der Mullbinde der Schweiß übers Gesicht lief.
»Ich werde keine Waffe in die Hand nehmen, selbst wenn Sie mich halb totschlagen«, erwiderte ich trotzig.
»Oh, das brauchen Sie gar nicht«, erwiderte er gelassen. »Die Gefahr, dass Sie sie einfach über Bord werfen, wäre mir ehrlich gesagt zu groß. Nein, ich habe etwas viel Besseres im Sinn, etwas, das Mokéle vor ein hübsches Problem stellen wird. Aber mehr möchte ich Ihnen noch nicht verraten. Es soll doch eine Überraschung werden.«
*
Etwa fünf Minuten später hatten wir unser Ziel erreicht. Maloney ließ den Motor ausgehen und zog das Floß heran. Der Regen begann jetzt heftiger zu werden. Das Prasseln der Tropfen auf der Gummihülle des Schlauchbootes war so laut, dass Maloney schreien musste, um sich verständlich zu machen.
»Klettern Sie rüber aufs Floß. Und zwar ein bisschen plötzlich, wenn ich bitten darf.«
»Das werde ich nicht tun«, rief ich zurück. Die Angst, was mich vielleicht auf dem Floß erwarten würde, ließ mich mutig werden.
»Was haben Sie gesagt?«, rief Maloney zurück, und es klang weniger nach einer Frage als nach einer Drohung.
»Ich habe gesagt, dass ich auf keinen Fall auf dieses teuflische Floß steigen werde …« Der Schlag kam unerwartet und hart. Er traf mich genau am Kopf. Ein höllischer Schmerz breitete sich über meine linke Gesichtshälfte aus.
» Wiederholen Sie, was Sie eben gesagt haben«, schrie Maloney wutentbrannt. »Ich habe Sie nicht verstanden.«
»Ich sagte, ich werde keinen Schritt auf Ihr …«, erneut traf mich ein harter Schlag, diesmal gegen meine rechte Kopfhälfte. Ich hatte den Hieb erwartet, was seine Wirkung aber in keiner Weise minderte. Ich spürte, dass ich kurz davorstand, ohnmächtig zu werden, und schmeckte warmes Blut.
» Selbst wenn Sie mich halb totschlagen«, murmelte ich kraftlos, »es wird an meinem Entschluss nichts ändern. Ich werde auf keinen Fall auf dieses Floß steigen.«
Ich spannte meine Muskeln in Erwartung eines weiteren Hiebes, der jedoch ausblieb. Stattdessen sagte Maloney: »Sie haben Mut, Astbury, das muss ich Ihnen lassen. Aber was Sie sagen, ist töricht. Sie haben doch überhaupt keine Verhandlungsposition. Ob Sie nun tot oder lebendig auf diesem Floß sind, ist mir ehrlich gesagt scheißegal. Aber Sie werden rübergehen, so viel ist sicher.«
»Dann müssen Sie mich schon umlegen.«
»Wenn das Ihr Wunsch ist …«
Schwirrend sauste ein schwerer Gegenstand durch die Luft. Ich hörte ein ohrenbetäubendes Krachen, ein stechender Schmerz flammte auf, dann kippte ich um.
Anhaltendes Rauschen weckte mich. Ich spürte einen Trommelwirbel warmer Regentropfen auf meinem Kopf, der in einem stetigen Rinnsal über meinen Rücken abfloss. Das Plätschern hatte etwas Monotones, Beruhigendes, das mich einhüllte und mir das Gefühl von Geborgenheit gab. War dies das Jenseits? Die Tropfen liefen seitlich an meinem Gesicht herunter und sammelten sich in meinem Mund, von wo aus sie in einem stetigen Strom auf meinen Schoß plätscherten. Ich befand mich in einer sitzenden Position. Erst langsam kam mir meine eigene Körperlichkeit zu Bewusstsein. Diese Erkenntnis ließ einen Gedanken in meinem Kopf entstehen, der befremdlich war. Wenn ich nur noch Geist und Seele war, weshalb besaß ich dann
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