Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
Bockenheimer für sie ein reines Spekulationsobjekt ist. Und nicht das einzige in Frankfurt, habe ich läuten hören.“
„Wer läutete das?“
„Ein kleiner Junge, Sohn einer Polin, die manchmal putzen kam und samstags den Briefkasten leerte. Die musste vergangenen Sommer nach Polen zurück. Seitdem besorgt das der junge Mann, der auch den Rasen pflegt und die Hecken stutzt.“
„Ebenfalls samstags?“
„Ebenfalls samstags.“
Rehbein musste sich also bis Samstag gedulden – und dann war es noch fraglich, ob der „junge Mann“ ihm weiterhelfen konnte. Ob das Internet etwas hergab? Er schaltete den Rechner ein.
***
In der Station der „Gebändigten“, Apathie genannt, schwebte Edmunds Geist im kosmischen Irgendwo. Keine Körperregung ließ diese Ausflüge vermuten, kein Zucken seiner Lider. Doch in diesem Zustand des künstlichen Komas offenbarten sich tief verborgene Ängste, verwoben sich Verse aus der Göttlichen Komödie mit fiebrigen Fantasien.
Also doch. Es gibt ein Leben nach dem Tod.
Von Kindheit an hatte er diese These in heftigen Diskussionen verteidigt, ohne wirklich daran zu glauben.
Merkwürdig: Himmlische Glückseligkeit verspüre ich nicht. Und auch sonst keine Regung in der Schwebe nach dem Tod in kosmischer Einsamkeit – welchem Ziel entgegen? Dem Kreis meiner Ahnen?
Woran bin ich gestorben?
Und wo?
Wo liegt meine Hülle begraben?
Ich habe mein Begräbnis verschlafen. Oder setzt das Schweben unmittelbar nach dem letzten Herzschlag ein, sodass die Seele längst weit weg ist, wenn der Leib zur letzten Ruhe getragen wird?
Waren die Elf und das Kollegium bei meiner Beerdigung dabei?
Hat Lydia geweint? Mama ganz sicher. Und Koko?
Werde ich jemals erfahren, wie es um sie alle steht?
Ich bin müde. Spaßig: eine Seele, die einschläft. Seele? Bin ich Seele – oder Geist? Welches Ich schwebt da – und schwebt es am Anfang des Weges der Erlösung? Wallender Nebel hüllt es ein – mich allein? – Gibt es hier ein Wir – Dante fragt: Was, wenn die Schatten, die wütend ringsum laufen, Wahrheit künden? Des Zornes Knoten streben sie zu lösen, die Schatten, die den Rand durchschneiden. Der Hölle Dunkel, oder das der Nacht, die kein Planet erhellt und deren Himmel von dichtestem Gewölbe ganz verhüllt ist.
***
Teil 4
Hauptkommissar Hilmer vom Bremer Betrugsdezernat war nicht mehr der Jüngste und überdies ein wenig kauzig. Er wunderte sich, dass sich die Frankfurter Kollegen höchstpersönlich herbemüht hatten, wo er ihnen doch die Höpfner-Unterlagen in Sekundenschnelle per Mail hätte übermitteln können. Als ein Kommentar der Kollegen dazu ausblieb und ihm beide treuherzig ins Gesicht blickten, lachte er kurz auf:
„Ach, ich verstehe! Sie wollen bei der Gelegenheit frische Austern genießen und durch unsere gute alte Schnoor bummeln!“
„Stimmt“, bestätigte Raabe, ohne zu wissen, dass mit Schnoor die putzige Bremer Altstadt gemeint war, „und nebenbei etwas Hintergrundinformation über Höpfner vor Ort sammeln.“
„Tja, das war schon eine Marke, dieser Höpfner. Tat unschuldig wie ein Lamm und hatte es faustdick hinter den Ohren. Mimte den biederen Bürger und braven Polizisten, gab sich bescheiden und zufrieden – und gaunerte hinterrücks ein Vermögen zusammen. Luxusvilla in der Karibik, Fünf-Sterne-Hotel an der portugiesischen Küste, Aktien, Tafelpapiere ...“
Hilmer deponierte seine Unterarme auf dem Ordner Höpfner, den er für die Frankfurter kopiert hatte.
„Korruption?“
„Weit gefehlt! Dienstlich hat er sich keinen Fehltritt geleistet, seine Polizeiarbeit war ohne Fehl und Tadel. Seine Mätzchen betrieb er als Nebenjob, in seiner Freizeit, sozusagen. Dabei …“
„Mätzchen welcher Art?“, unterbrach ihn Raabe ungeduldig, dem Hilmers Mätzchen langsam auf die Nerven gingen.
„Zum Beispiel in Altona als Fritz Herlitz, Erbe eines reichen, aber einsam verstorbenen alten Mannes namens Alois Herlitz – die nötigen Urkunden zusammengefälscht. Dann versilberte er ratzfatz den Besitz – ebenso ratzfatz verschwand ‚Fritz Herlitz‘ in der Versenkung und Erich Höpfner ging weiter in Seelenruhe seiner Polizeiarbeit nach … traf sich nach Feierabend auf ein Bier mit den Kollegen und bereitete nebenbei den nächsten Coup vor. Der nächste Coup, diesmal unter dem Namen Alexander Eising, brachte ihn in Verbindung mit einer Schieberbande im Orient, was ihm nicht nachgewiesen
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