Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
Rehbein wollte ihn nicht drängen, wollte ihm Zeit lassen, dabei brannte es ihm unter zwanzig Nägeln. Er zwang sich zur Geduld. Der alte Mann ballte die Fäuste, als hielte er Ungeziefer darin fest und wolle es zerdrücken. Die Knöchel seiner Hände traten weiß hervor.
„Beinahe wäre sie an der Abtreibung verblutet, die er an ihr vollzogen hatte. Ein Jahr war sie mit ihm verlobt, wähnte sich im siebten Himmel. Als sie schwanger wurde, bekannte er Farbe. Er war seit Langem verheiratet, hatte zwei fast erwachsene Kinder und die Frage, seine Familie zu verlassen und Theresa zu heiraten, stellte sich erst gar nicht. Sie erholte sich nur langsam von dem Abort, der sie fast umgebracht hätte, aber sie erholte sich davon. Bei ihrer Großmutter mütterlicherseits. In Bosnia, einer Kleinstadt in Polen. Ein halbes Jahr blieb sie da, dann zog es sie hierher zurück und sie zog bei mir ein und – denken Sie nur: Sie ließ sich von diesem Menschen erneut vereinnahmen, blieb seine Geliebte, wurde ihm hörig. Da platzte mir der Kragen, ich trieb ihn aus dem Land hinaus. Das war keine Kunst, ich drohte ihm, alles seiner Frau zu sagen. Das half. Er ging mit seiner Familie in die Ukraine zurück, von wo er gekommen war. Das liegt fünf Jahre zurück und nun kommen Sie daher und halten mir diesen Namen unter die Nase. Sagen Sie mir die Wahrheit: Ist er wieder im Land?“
Die Wahrheit wird sein, dass er nie fortgezogen ist, dass Theresalein dem Opa eine Legende aufgetischt hat – eine Vermutung, die Hans lieber nicht äußerte.
„Ich weiß es nicht, Herr Schwarz, aber ich möchte so viel über diesen Menschen erfahren wie nur irgend möglich. Was wissen Sie über ihn, außer dem, was er Ihrer Enkelin angetan hat?“
„Nur das, was mir Theresa erzählte. Er habe als junger Mann in München Medizin studiert, sei einige Jahre in einem Krankenhaus in Ungarn tätig gewesen, danach ein Jahr in der Universitätsklinik in Gießen, ehe er sich mit zwei Kollegen zu einer Praxisgemeinschaft zusammengetan habe, ich glaube in Wetzlar. Das hielt nicht lange vor und zu dem Zeitpunkt, da er an Theresa den Eingriff vornahm, hatte er seine Approbation längst verloren und verdiente bis zu seinem Rückzug nach Ungarn seine Brötchen als Makler oder so ähnlich. Michailowitsch Duda! Meine Fresse! Ich hätte nicht gedacht, dass der Name mir noch mal unterkommt.“
„Können Sie mir Duda beschreiben – ich meine, wie er aussah?“
„Ich habe ihn nie gesehen.“
Vor der Abfahrt schrieb Rehbein in seinen Notizblock: 1. Großmutter in Bosnia. 2. Praxisgemeinschaft Wetzlar vor sechs oder sieben Jahren. Er legte den Gurt an und massierte sich den Bauch, bereute, dass er der deftigen Mahlzeit ordentlich zugesprochen hatte, wo er doch sonst mittags nur Obst verzehrte. Himmel, er musste den Gürtel lockern.
Daheim legte er sich erst einmal „auf ein Stündchen“ aufs Ohr. Als er erwachte, waren fast drei solcher Stündchen vergangen und er rief Haralabidi an.
Der Grieche begrüßte ihn mit einer ziemlich hellen Stimme, sodass Rehbein zunächst glaubte, mit einer Frau zu sprechen.
„Frau Klein kündigte mir Ihren Anruf schon an. Habe mir erlaubt, einige Erkundigungen einzuholen. Sie arbeiten für das Büro ‚Nussknacker‘ in Frankfurt. Darf ich fragen, welches Interesse Sie an den Eignern des Geländes haben, auf dem sich meine Niederlassung befindet?“
Hans Rehbein bewunderte das flüssige und akzentfreie Deutsch des Griechen.
„Es geht um eine Frau, die vermisst wird. Theresa Schwarz. Sie wurde zuletzt auf besagtem Grundstück gesehen, ein Taxifahrer hatte sie davor abgesetzt. Sie erkundigte sich in Ihrem Büro nach einem Herrn Duda. Und Frau Klein beobachtete, wie sie an der Villa klingelte. Genügt Ihnen das als Begründung für mein Interesse?“
„Voll und ganz. Ich hoffe, Sie verstehen, dass ich Sie danach fragen musste. Ich kenne die Eigentümer nicht näher. Meinen Pachtvertrag schloss ich mit dem alten Georg Huber, dem das Gelände zu der Zeit noch gehörte. Er hat es vor zwei oder drei Jahren verkauft, und zwar an die Doktores Duda und Raskolnikoff. Mit dem Erlös verbringt Huber einen schönen Lebensabend auf Ibiza. Duda und Raskolnikoff sind verschwägert, soviel ich mitbekommen habe. Der eine stammt aus Moskau, der andere aus Kiew. Beide sind polizeilich in Frankfurt gemeldet, doch nur selten anwesend. Ich weiß nicht, wo sie anzutreffen oder wie sie zu erreichen sind. Ich habe den Eindruck, dass das Gelände in der
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