Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
geht’s uns guuut!“ Das Ende seiner volltönenden Replik krönte er mit einer homerischen Lachsalve, die bald in herzzerreißendes Schluchzen überging. Edmund hätte dem Friseur diese Emphase gar nicht zugetraut. Er war noch unversehrt, jedenfalls äußerlich, und somit gewiss auch frei von Epikur. Ebenso Ute und die setzte zu einer Erwiderung an. Aber der Dicke mit der Hornbrille, Helmut Forst, der Buchhalter – die Haare ergraut, das Gesicht durchfurcht, was ihn um Jahre älter aussehen ließ als in West –, kam ihr zuvor.
„Ich schlage vor“, sagte er, „wir bleiben sachlich. Das beinhaltet genug Heiterkeit in Anbetracht dessen, dass wir tatenlos hier unten herumsitzen, während oben die Welt über uns zusammen- oder auseinanderbricht.“
„Ob die Welt zusammen- oder auseinanderbricht, ficht uns im Grunde genommen nicht an. Wir haben nichts mehr mit ihr zu tun.“ Diesmal war Resignation aus Alexanders Stimme zu hören.
„Noch sind nicht alle so fertig wie du“, entrüstete sich Hertha Gisbert, „noch interessiert mich, was auf meinen Hans und auf unsere Kinder zukommt, die jetzt ohne mich auskommen müssen. Es fehlte gerade noch, dass die zunehmend wachsende PDS – Hand in Hand mit den Altachtundsechzigern – erneut eine Revolution probt, diesmal erfolgreich, denn im Gegensatz zu damals verfügen sie über Macht, Einfluss und Moneten. Kein Problem für die Kommunistenbande, die Welt ratzfatz in einen Gulag umzufunktionieren.“ Sie bändigte ihre Locken mit einer Rundspange zum Pferdeschwanz, die Apothekenhelferin aus Bonames, seinerzeit Atheistin und militante Marxistin.
„Das klappt nicht“, rief die alte Frau im Rollstuhl an Tisch eins. Die bunten Steine ihres Ohrgehänges glitzerten im Licht der über ihr hängenden Lampe, während ihre reich beringten Hände, hoch in der Luft schwenkend, ihre Rede unterstützten. Edmund stockte sekundenlang der Atem. Das war Elisabeth Koch! Er hatte sie heil und ganz in West erlebt, beim ersten Mal mit Zimmermann zusammen in Ferdinands Bistro, als sie sich über Franz Gerschpachers Auftritt echauffiert hatte, später bei einem Streitgespräch mit Nicole Weber, in dem sie Rosa Luxemburg als die Größte hervorhob. „Die Roten haben längst ausgespielt!“, freute sie sich jetzt und hier, beinlos, mit lachendem Gesicht. Ausgerechnet bei dieser Aussage kam Nicole, ihre einstige Kontrahentin, in den Saal zurück und rief:
„… da irrst du, meine liebe Elisabeth.“ Da kein Platz mehr frei war, setzte sie sich kurzerhand auf die Kante des Tischs vier, ohne ihre Rede zu unterbrechen. „Der Spuk ist noch längst nicht überwunden. Ebenso wenig das Klima, in dem Deutschland seit über einem halben Jahrhundert lebt ... nämlich das der ständigen Irreführungen und Entstellungen, der verdeckten und demokratisch verbrämten Unwahrheiten. Dazu haben eure gegenwärtigen Dichter und Denker allzu gründliche Vorarbeit geleistet mit ihren poetischen Hysterien und der Verzerrung der Realität, von Böll über Wallraff und Enzensberger mit der ganzen übrigen Clique im Gefolge, nicht zu vergessen die Gilde der Historiker nach gründlicher Gehirnwäsche. Und die leisten sie noch heute. In Berlin feiern die Roten fröhliche Urständ um Karl Marx und Rosa Luxemburg, bejubeln die neue Garde der alten SED. In Russland richtet man allerorten die Stalin- und Leninstatuen wieder auf – wirfst du nie einen Blick in die Zeitungen?“
„Noch im Rot der roten Toten rote Enkel rot erglühn, mit roter, roter Zuversicht zu rosaroten Ufern hin ...“, schmetterte Franz.
Elisabeth befeuchtete sich die Lippen mit der Zungenspitze, sagte aber nichts, dafür meldete sich Dieter Schuster zu Wort:
„Bis auf einen Punkt stimme ich dir voll und ganz zu. Du kannst nämlich nicht alle Historiker über denselben Kamm scheren, es gibt auch Ausnahmen. Unter den Schriftstellern übrigens auch. Die Ausnahmen aber sind unter dem politischen Terror überfordert, sind ihm nicht gewachsen. Ein Skandal, wie sie beispielsweise Nolte untergebuttert haben! Der Kommunismus erfreut sich immer noch einer erstaunlichen Reputation als gerechte Alternative zum demokratischen und kapitalistisch geprägten System. Trotz seines Scheiterns und der Zigmillionen Opfer, die die versuchte Umsetzung ihrer Ideologie bis heute forderte und weltweit weiterhin fordert, trotz aller Erkenntnis ist kommunistisch und links immer noch salonfähig. Die Gefahren des Kommunismus und seiner Verbrechen werden von der
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