Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
nach Belieben in einem Hängehefter, den man mit seinem Namen versehen muss, bis zum nächsten Mal aufbewahren oder dem Schredder neben der Ausgangstür übergeben. Mitgenommen werden darf nichts. Ausnahmen bilden für Ausstellungen auserwählte Stücke sowie Dekorationen und Plakate zu Theateraufführungen. Die können vorübergehend für die Dauer einer Veranstaltung mit nach draußen gehen. Das gilt ebenso auch für die Kostüme, die im Zimmer nebenan geschneidert werden. Die Künstler dürfen jedoch ihre Werke nicht persönlich fort- und wieder zurückbringen, dazu werden Betriebsschützer beauftragt.
Ich bin dort Stammgast im Atelier, entwerfe Kostüme für die Theatergruppe. Die werden in der Schneiderei, dem Atelier gegenüber, dann auch geschneidert. All das dient der Ablenkung – ein wenig. Von Mathe versprech ich mir mehr, weil Geist gefordert wird statt Fantasie, man kommt dabei nicht ins Simulieren.“
„Dieses Atelier interessiert mich. Ich möchte es sehen.“
„Jetzt gleich?“
„Warum nicht?“
„Also los!“
Falkengasse dreizehn. Ein heller Raum von der Größe zweier Klassenzimmer mit einem Dutzend Staffeleien, an denen gemalt oder gezeichnet wurde, ohne dass ein Wort fiel. Die in Hufeisenform entlang der Wände fest verankerten Schreibpulte boten dreißig Personen Platz. Edmund sah einige Männer und Frauen schreiben, er hätte gern gewusst, was da verfasst wurde, Briefe, die nie abgeschickt werden konnten? Beichten? Biografien? Erinnerungen?
An einer der Staffeleien entstand das Bild einer jungen Schönheit in historischem Gewand. Emilia Galotti , wie Edmund von Hannelore erfuhr. Sie machte ihn auch mit dem Maler bekannt, Matthias Huber. Huber grüßte mit einem kurzen Hallo und wandte sich sofort wieder der Leinwand zu.
„Lessings Stück geht demnächst im Odin über die Bühne“, sagte Hannelore und wollte weiter, doch Edmund zupfte sie am Ärmel:
„Das ist doch – Moment, ich komm gleich drauf, ja, das ist Nicole Weber.“
„Richtig! Sie hat Matthias stundenlang für das Bild gesessen, für die letzten Striche kommt er ohne sie aus.“
„Spielt Nicole die Emilia?“
„Ja. Ich habe das Kostüm entworfen und genäht. Matthias befasst sich im Moment mit den Falten.“
„ Odin “, fragte Edmund, während sie sich von Hubers Staffelei entfernten, „ist das nicht das Theater im Irispfad, wo derzeit ‚Madame Butterfly‘ gegeben wird?“
„Ganz genau. Ab morgen wird ‚Orpheus in der Unterwelt‘ aufgeführt, in drei Wochen ‚Emilia Galotti‘.“ „
„Alles Leidensgenossen von uns, die Schauspieler, nicht wahr?“
„Klar. Jeder, der Lust hat, kann hier mitspielen.“
Nach dem Rundgang durchs Atelier vereinbarten sie, am nächsten Tag zur gleichen Zeit mit dem Unterricht zu beginnen. Auf dem Weg zur Adlergasse rechnete Edmund sich eine gute Chance für seine Berechnungen zur Überlistung von Magnetverriegelung aus. Wenn das gelänge, müsste noch eine Lösung gefunden werden, die Kameras zu neutralisieren. Er bemühte sich eisern, die Zweifel zu ignorieren, diesen Herausforderungen gewachsen zu sein.
Obwohl er großen Hunger verspürte, verzichtete er auf ein Abendessen. Er wollte in Ruhe über alles nachdenken. Vor seiner Kammer angelangt, flog die gegenüberliegende Tür auf und Angela kam heraus.
„Welch eine Überraschung!“, rief sie aufgeräumt, „ich wollte jetzt eben essen gehen … kommst du mit?“
Völlig überrumpelt willigte Edmund ein. Auf das Du
ging er spontan ein, was ihn doch verwunderte, und er beschloss in der nächsten Sekunde, sich am besten über gar nichts mehr zu wundern, auch nicht über die Fröhlichkeit einer Leidensgefährtin. Es war allerdings nicht weit her mit der Fröhlichkeit, sie brach im nächsten Augenblick zusammen.
„Ist es nicht zum Wahnsinnigwerden? Was haben die mit uns vor? Der Arzt hat angedeutet, dass ich von Glück reden könne, dass ich schwanger sei, verstehst du das?“ Sie schnäuzte sich die Nase und wischte die Tränen fort.
„Nein. Du wirst also Mutter, gratuliere! Geht es dir wieder besser?“
„Ja. Aber nur bis morgen früh, dann geht es wieder los. Jeden Morgen das gleiche Theater, aber so schlimm wie heute war es noch nie.“
„Seit wann bist du schon in Repuestos?“
„Seit vorgestern.“
„Und ich seit gestern.“
„Ach! Da kann ich von dir ja gar nichts weiter erfahren, ich hatte schon gehofft …“
„Gehen wir trotzdem zusammen essen?“
„Aber ja. Und wohin?“
„Ins
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