Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
Sprücheklopfer. Aber Sie haben richtig gehört. Ediths Follikelsprung ist fällig ... Wir reden nachher im Fitnesssaal weiter“, keuchte Gerd, er war außer Puste. Ein kluger Vorschlag, dachte Edmund, der ebenso außer Atem war. Der Gorilla war heute auf Schikane aus. Rumpfbeugen, Rolle rückwärts, Rumpfbeugen, Purzelbaum, Rumpfbeugen und Hüpf!, Hüpf!, Hüpf! Und von vorn das Ganze, eins und ... – anschließend Dauerlauf im Kreis nach dem Tempo der Tambourinschläge.
Edmund konnte über Gerds Satz vom Follikelsprung nur den Kopf schütteln. Im Fitnesssaal marschierten sie auf Laufbändern nebeneinander her.
„Es is so“, erklärte Gerd, „dies ist vor der Versetzung nach Repuestos -Süd Ediths letzter Ovulationstermin. Ihre Zeit läuft in drei Wochen ab … Aber wenn sie schwanger wird, bleiben ihr noch ein paar Monate hier …“
„Und Duda erhält ein weiteres Spenderbaby. Dein Sohn oder deine Tochter werden als ein Bündel Ersatzteile geboren, hast du das bedacht?“
„Nix hab ich bedacht unn will auch nix bedenke, Edith soll Zeit gewinnen – Zeit, in der vielleicht sogar ein Wunder geschieht und sich die Dinge wenden.“
Edmund war erschüttert. „Liebt ihr euch denn?“
„So, wie man seinen Nächsten liebt, sonst ist da nichts weiter. Aber der Akt funktioniert, das haben wir ausprobiert und paarmal wiederholt, hat sogar Spaß gemacht. Edith versucht schon seit Wochen, schwanger zu werden. Hat es immer wieder probiert mit Karl Hagen, aber der musste vor sechs Wochen nach Süd. Es hat net geklappt mit den beiden.“
„Und du denkst, dass es mit euch beiden klappt?“
„Wer weiß? An mir wird es nicht liegen. Ich bin zeugungsfähig. Zwei Frauen verdanken mir bereits ihren längeren Verbleib in Repuestos- West.“
Edmund blieb die Spucke weg. Welch eine Veränderung! Der schüchterne Gerd Mädchen gegenüber – oben in der Welt jedenfalls – sprintete als mehrfach werdender Vater neben ihm her auf dem Laufband. Mit achtzehn Jahren.
„Sind Sie schockiert?“
„Nein, nein. Ich war auf so etwas nicht gefasst, das ist alles.“
„Ich werde allen helfen, die wollen“, sagte Gerd, „ihnen Zeitgewinn verschaffen und mir Albträume, wenn ich an die Kinder denke und was aus ihnen wird.“
„Und wenn wir zuvor befreit würden?“
„Das wäre wunderbar. Allerdings …“, er sah Edmund betreten an, „ich glaub sowieso nicht mehr daran.“
Edmund glaubte sehr wohl daran. Er verlor sich in Wunschträumen – seine Beine trabten automatisch übers Band.
„Herr Konrad! Das Programm ist zu Ende, die Schule ist aus, wir dürfen nach Haus!“, entriss Gerd ihn humorig seiner Fantasien.
Das Abendessen mit Angela verlief in einvernehmlichem Schweigen. Dem Untersuchungsergebnis zufolge war ihre körperliche Unversehrtheit nun für die nächsten acht Monate festgeschrieben. Hin und wieder betupfte sie ihre Augen mit einem Papiertaschentuch und lächelte verlegen, wenn sie bemerkte, dass es Edmund nicht entging. Auch den Weg zur Adlergasse legten sie schweigend zurück. Sie nickten sich Gute Nacht zu und schlossen sich in ihre Kemenaten ein.
Am Morgen darauf wachte Edmund mit einem ordentlichen Muskelkater auf. Meister Proper hatte wirklich übertrieben. Er war auch heute froh, dass die Nacht vorüber war. Eine Nacht böser Träume mit zwei ständig wechselnden Bildern: eines mit einem im Heckwasser Ertrinkenden und eines mit dem blutigen Körper seines ermordeten Schülers Hans, beide zuletzt zu einer Figur verschmolzen. Die ungesühnte Tat nicht erfolgter Hilfeleistung bei dem nicht von ihm begangenen Verbrechen, das man ihm zuschrieb, als ausgleichende Schicksalsfügung? Quatsch! Oder? Der Zwiespalt plagte ihn nächtens durch Dantes Komödie und tags durch alle Pflichtprogramme. Auf dem „Heim“-weg nahm er den Umweg am Rondell vorbei durch die Amselgasse und suchte die Lesestube auf. Es lohnte sich: Die zwei Tage alten Zeitungen brachten wieder sein Bild, diesmal mit dem Dementi, es habe sich herausgestellt, dass Konrad zur Tatzeit in einem Blumenladen Rosen gekauft habe. Der Verkäufer habe sich an ihn erinnern und anhand der Registrierkasse die genaue Uhrzeit nennen können. Das schloss ihn als Täter aus.
Der Einarmige! Edmund verstand nicht, warum ihm ausgerechnet der sein Alibi bescheinigte. Er war versucht, seinen Weg hüpfend fortzusetzen, sicher, dass diese Meldung seine Lieben oben in der Welt von einem Alb befreit hatte. Wo Lydia wohl sein mochte mit ihrem gebrochenen
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