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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Reuther
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begeben sich in die Kemenaten.
     
    Angela erschrak. Edmund! Also doch. Das hatte sie gleich befürchtet, als sie ihn im Frühstückssaal vermisste. Wollte er nicht seinen Plan erst noch verbessern? Das hat er nur gesagt, damit ich ihn nicht zurückhalte!
    Lautlos in dumpfen Ahnungen wandelten die weißen Gestalten zu ihren Zellen – an Betriebsschützern vorbei, die an allen Kreuzungen postiert waren.
    Angela fror. In ihrer Kemenate pulsierte das Blaulicht. Sie schaltete „I“ ein.
     
    Alarm! Der Spender Rolf Fischer aus der Adlergasse 10 wird vermisst. Bis zu seinem Auffinden verbleiben Sie in Ihren Kemenaten. Sie werden informiert, sobald die Suche beendet ist. Wer Hinweise zur
    Ergreifung des Mannes gibt, findet sofort Aufnahme in den Betriebsschutz. Wer dazu willens und in der Lage ist, betätige Knopf Ypsilon und warte die Anweisung zur Absetzung seiner Info ab.
     
    Fischer! Nicht Edmund! Der Krampf entlud sich in Tränen. Angela warf sich aufs Bett und ließ ihnen freien Lauf. Das Blaulicht leuchtete eine Viertelstunde danach erneut auf.
     
    Alarmsituation beendet. Das Programm wird fortgesetzt. Alle begeben sich in die große Turnhalle. Rudolf Fischer befindet sich in der Apathie. Wer den Widerspenstigen in seinem Wohnstuhl besichtigen möchte, finde sich zwischen dreizehn und vierzehn Uhr im Forum ein.
     
    Angela machte von ihrem Recht Gebrauch und blieb liegen, ihre Hände auf dem Bauch. Der momentane Kelch war erst mal an ihr vorbeigegangen, Edmund war noch da. Das unfassbare Schicksal aber ebenfalls noch. Die Tränen der vorübergehenden Erleichterung wechselten über in solche der Verzweiflung.
    Das Kind als Spender entbinden, selbst als Spender enden. Sie wurde mit dieser Ungeheuerlichkeit nicht fertig. In Gedanken wanderte sie zu Gustav in die Apathie und träumte davon, neben ihm den Kinderwagen durch einen Park zu schieben. Sie betete zu Gott: Lass, bevor ich niederkomme, diese Hölle auffliegen. Heimlich bekannte sie: Wenn nicht, töte ich mein Kind im Leib bei der ersten Wehe und dann mich. Dieser Gedanke ließ sie etwas ruhiger werden. Zum ersten Mal, seit Gustav in der Apathie lag, schlief sie die Nacht durch bis zum Wecken. Heute ließ sie Schwimmen ausfallen. Schwangere durften das. Sie drehte sich auf ein halbes Stündchen auf die andere Seite.
    Am Frühstücksbüfett lud sie zwei saure Gurken auf ihren Teller und eine Birne. Wenn in Repuestos von Heiterkeit noch nie die Rede sein konnte, schon gar nicht beim Frühstück, lastete heute die Pression noch stärker als sonst auf den Gemütern. Jeder Rest Courage war wieder einmal zunichte geworden. Rudolf Fischers Platz an Tisch 18 blieb leer, ein Stuhl an Tisch 32 ebenso – Günter Ahlers frühstückte ab heute in der Betriebsschützerkantine.
    Beim Mittagessen im Orchideenhaus galt der Schweigetrialog zwischen Edmund, Angela und Gerd ein und derselben Niedertracht. Schließlich unterstrich Gerd:
    „Ich frag mich, wie der Kerl sich fühlen mag.“
    Edmund sagte: „Frag das mich, ich weiß die Antwort: beschissen.“
    „Es ist ja nicht gesagt, dass Fischer nicht ohnehin geschnappt worden wäre“, meinte Angela.
    „Stimmt. Das Gegenteil aber ebenso wenig. Weiß einer von euch, was er unternommen hatte?“
    Angela antwortete: „An meinem Tisch im Frühstückssaal war die Rede von einem Loch in der Waschraumdecke seiner Kemenate, durch das er in den Stock über uns gelangt war. Dort stünden die Müllcontainer, die täglich in die Welt befördert würden, und in so einen sei er hineingekrochen.“
    Nach dem Essen fragte Angela, ob einer mit ihr durch die Gassen wandeln wolle. Gerd war mit Schuster zum Kegeln verabredet, Edmund schloss sich ihr an. Sie probten wandelnd Verdrängung der Bedrückung, unterhielten sich über Verrichtungen, die sie oben jetzt unternehmen würden, wenn … Edmund und Lydia, Angela und Gustav – kleines Illusionsspiel der Sehnsucht. Sie waren bei Angelas Tür angelangt.
    „Hast du es dir noch einmal überlegt … ich meine, kommst du heut abend vielleicht doch mit ins Theater?“
    „Nein“, sagte sie entschieden, „ich mag das Stück nicht. Ich finde Emilia Galotti so abscheulich wie muslimische ‚Ehrenmorde‘.“
    „Oh.“
    „Das hätte ich dir neulich bei dem Disput mit Georg Hahn schon entgegengehalten, wollte dir aber nicht in den Rücken fallen. Ich wünsch dir trotzdem gute Ablenkung und grüße Hannelore von mir.“
     
    In seiner Zelle lag Edmund wie gewohnt auf dem Bett und fixierte die

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