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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Reuther
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hebt menschliche Unzulänglichkeit ebenso hervor wie die Größe des Charakters. Emilia fürchtet für ihre Verführbarkeit und wählt in ihrer unentrinnbaren Lage den Tod. Sind Sie überhaupt imstande, diesen Gedanken nachzuvollziehen?“
    „Augenwischerei! Sie wählt überhaupt nichts. Sie weiß, der Vater wird sie töten, und zieht es vor, das vor sich und der Welt zu verbrämen. Tochtermord, mein Lieber, ist eine Monstrosität, ob ohne oder mit dem Willen des Kindes.
    Außerdem, Lessings Vorlage ist zweitausendfünfhundert Jahre alt und stammt aus dem alten Rom, ein Drama um eine Plebejertochter … Doch Lessing war nicht einmal imstande, das Stück ohne Zuhilfenahme von banalen Zufällen zu gestalten, und das macht den Handlungsablauf schlichtweg unglaubwürdig. Zufällig führt eine Bittstellerin den Vornamen Emilia und das zufällig an Emilia Galottis vorgesehenem Hochzeitstag, von dem der Prinz zufällig jetzt eben erfährt, und zufällig erscheint exakt in diesem Moment der Maler mit Galottis Bild und zufällig hat der Diener des Prinzen einen Kumpel im Hause Galotti, zufällig auch ist Papa Galotti plötzlich abgereist – so einen Schrott ließe sich heutzutage kein Verleger andrehen.“
    Schrott – das war zu viel für Ludwig Zimmermann. Er stand auf, bewegte sich bedrohlich auf den Kunstbanausen zu, ringsum hielt alles den Atem an.
    „Nein!“, hörte Edmund sich in die Grabesstille brüllen und nochmals „Nein!“ aus Leibeskräften. Alle fuhren zusammen, alle sahen zu ihm hin, auch Ludwig Zimmermann, der sich auf den Ahnungslosen hatte stürzen wollen. Er ließ die Arme sinken, blieb wie betäubt vor seinem Widersacher stehen. In das allseitige Aufatmen hinein hauchte Zimmermann: „Danke“, mit einer Verbeugung zu Edmund hin. Auch sein Gegner schien erleichtert und murmelte etwas, was Edmund, bereits auf dem Weg zum Ausgang, nicht mehr hörte. Er schlenderte mit einem schalen Gefühl im Magen durch die Gassen, als ihm plötzlich so war, als sei er gerufen worden.
    „Herr Konrad!“
    Tatsächlich, da war es wieder. Er drehte sich um und sah Gerd auf sich zukommen. „Der Verräter hat sich im Fitnesssaal erhängt. An den Ringen.“
    Edmund, völlig durcheinander, sah den Jungen zerfahren an.
    „Sie wissen doch – Günter Ahlers! Der neue Betriebsschützer.“
     
     
     
     
     
    ***
    Knöpfle befand sich seit fast einer Stunde im OP. Raabe sandte Stoßgebete zum Himmel. Kerzengerade und angespannt auf der Bank sitzend, starrte er auf die gegenüberliegende Tür. Endlich erschien Dr. Leonhard, der Assistent des Chefchirurgen. Raabe flog auf ihn zu und hörte, was er befürchtet hatte: Blinddarmdurchbruch.
    „Es sieht nicht gut aus, wir tun, was wir können.“
    Raabe ließ sich auf die Bank zurückfallen und bedeutete dem Arzt, dass er warten werde, auch wenn es lange dauern sollte.
    Es dauerte in der Tat lange – eine weitere Stunde des Hoffens und Bangens und der Vorwürfe, die nun an ihm nagten. Er hätte reagieren müssen – vor Tagen, als Knöpfle sich, wenn auch nur kurz, hinter dem Schreibtisch gekrümmt hatte und heute vor Kloßes Wohnungstür. Am Ende rollte Professor Heidelmann ihm einen Felsen vom Herzen: „Er hat die komplizierte Operation gut überstanden, sein Zustand ist stabil, doch er wird mindestens eine Woche auf der Intensivstation verbringen müssen.“
    Befreit fuhr Horst Raabe ins Präsidium und stürzte sich auf die Arbeit. Sie ging ihm nicht so recht von der Hand, auch in den folgenden Tagen nicht. Das Pensum wuchs ihm über den Kopf, es war ohne die Hilfe seines Mitarbeiters kaum zu bewältigen. Die Arbeit am Computer ganz und gar musste bis zum Eintreffen eines Kollegen aus Wiesbaden liegen bleiben, der ihm zur Unterstützung zugesagt worden war. Die Kloße-Unterlagen lagen kreuz und quer auf Knöpfles Schreibtisch und Aktenbock verteilt. Raabe sammelte sie ein und vervollständigte den Ordner, glücklich, dass der Fall Scholz nun in der Hand der Staatsanwaltschaft lag. Kloßes Geständnis war perfekt, er hatte auch nicht widerrufen. Sollte er das irgendwann mit der Behauptung tun, es sei erpresst worden, wer würde ihm glauben – mit dem Barthaar in der Faust des ermordeten Jungen? Und mit einem Alibi, das er gekauft hatte und das geplatzt war? Raabe verspürte nicht die Spur eines schlechten Gewissens.
    Er schuftete vierzehn Stunden am Tag, ließ es sich dabei nicht nehmen, mittags eine halbe Stunde für einen Krankenbesuch zu erübrigen. Und an Marions

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