Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
ich niemanden mehr habe.«
Ich schlucke. Ich wollte schon öfter mit ihr über Alex sprechen, mich irgendwie bei ihr entschuldigen, aber ich habe nie die richtigen Worte gefunden. Sogar jetzt schwellen sie in meiner Kehle an und bleiben stecken. »Hör mal, Coral.« Ich hole tief Luft. Sag es. Sag es einfach. »Es tut mir wirklich leid, dass Alex weg ist. Ich weiß … ich weiß, dass es schwer für dich sein muss.«
Da ist es: Ich habe ausgesprochen, dass sie diejenige ist, die den Verlust erlitten hat. Sobald die Worte meinen Mund verlassen haben, fühle ich mich seltsam leer und eingesunken, als hätten sie die ganze Zeit wie Ballons in meiner Brust gesteckt.
Zum ersten Mal, seit ich mich gesetzt habe, sieht sie mich an. Ich kann ihren Gesichtsausdruck nicht deuten. »Schon okay«, sagt sie schließlich und wendet den Blick wieder dem Feuer zu. »Er hat sowieso immer noch dich geliebt.«
Es ist, als hätte sie mir in den Magen geboxt. Ganz plötzlich bekomme ich keine Luft mehr. »Was – was sagst du?«
Ihr Mund verzieht sich zu einem Lächeln. »Wirklich. Es war ganz offensichtlich. Das ist schon in Ordnung; er mochte mich und ich mochte ihn.« Sie schüttelt den Kopf. »Es ging mir auch gar nicht um Alex, als ich gesagt habe, ich hätte niemanden mehr. Ich meinte Nan und die anderen aus der Gruppe. Meine Leute.« Sie wirft den Stock weg und zieht die Knie enger an die Brust. »Komisch, dass mich das ausgerechnet jetzt so überkommt, hm?«
Obwohl mich das, was sie gerade gesagt hat, immer noch sprachlos macht, gelingt es mir, mich zu beherrschen. Ich strecke die Hand aus und berühre sie am Arm. »Hey«, sage ich. »Du hast uns. Wir sind jetzt deine Leute.«
»Danke.« Ihr Blick huscht erneut zu mir. Sie zwingt sich zu einem Lächeln, legt den Kopf schief und mustert mich einen Moment aufmerksam. »Ich kann verstehen, warum er dich geliebt hat.«
»Coral, du irrst dich …«, hebe ich an.
Aber genau in diesem Augenblick ertönt ein Schritt hinter uns und meine Mutter sagt: »Ich dachte, du wärst schon vor Stunden schlafen gegangen.«
Coral steht auf und klopft sich den Hosenboden ab – eine nervöse Geste, da wir alle dreckverkrustet sind, von einer Schmutzschicht überzogen, die von den Wimpern bis zu den Fingernägeln reicht. »Ich wollte sowieso gerade gehen«, sagt sie. »Gute Nacht, Lena. Und … danke.«
Bevor ich etwas erwidern kann, dreht sie sich um und geht zum südlichen Ende der Lichtung, wo der Großteil unserer Gruppe sich niedergelassen hat.
»Sie scheint ein nettes Mädchen zu sein«, sagt meine Mutter, während sie sich auf den Stamm setzt, den Coral freigemacht hat. »Zu nett für die Wildnis.«
»Sie hat fast ihr ganzes Leben hier verbracht.« Ich kann den scharfen Unterton in meiner Stimme nicht unterdrücken. »Und sie ist eine großartige Kämpferin.«
Meine Mutter starrt mich an. »Ist irgendwas?«
»Ja! Ich werde nicht gerne im Dunkeln belassen. Ich will wissen, wie der Plan für morgen aussieht.« Mein Herz rast. Ich weiß, dass ich meiner Mutter gegenüber unfair bin – es liegt nicht an ihr, dass ich nicht an der Planung beteiligt war –, aber mir ist nach Schreien zumute. Corals Worte haben etwas in mir losgetreten und ich spüre, wie es in meiner Brust tobt, mir in die Lunge sticht. Er hat sowieso immer noch dich geliebt.
Nein. Das ist unmöglich; sie hat es falsch verstanden. Er hat mich nie geliebt. Das hat er mir selbst gesagt.
Die Miene meiner Mutter wird ernst. »Lena, du musst mir versprechen, dass du morgen hierbleiben wirst, im Lager. Du musst mir versprechen, dass du nicht kämpfen wirst.«
Jetzt bin ich diejenige, die sie anstarrt. »Was?«
Sie fährt sich mit der Hand durch die Haare, wovon sie aussehen, als hätte sie sie mit elektrischem Strom gestylt. »Keiner weiß genau, was uns jenseits der Grenze erwartet. Die Anzahl der Sicherheitskräfte sind nur Schätzungen und wir sind nicht sicher, wie viel Unterstützung unsere Freunde in Portland organisieren konnten. Ich habe auf eine Verschiebung gedrängt, aber ich bin überstimmt worden.« Sie schüttelt den Kopf. »Es ist gefährlich, Lena. Ich will nicht, dass du dabei bist.«
Das tobende Etwas in meiner Brust – die Wut und die Trauer darüber, Alex verloren zu haben, und, sogar noch stärker, die Wut über dieses Leben, das wir aus kleinen Stückchen und Fetzen, aus halb ausgesprochenen Worten und ungehaltenen Versprechen auffädeln – explodiert plötzlich.
»Du hast es immer noch
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