Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
Straße und andere erklingen nicht lauter als ein entferntes Echo.
Irgendetwas stimmt nicht.
Als ich in den Flur hinaustrete, knallen mehrere Türen gleichzeitig zu. Das Stimmengemurmel und die Musik sind verstummt. Stattdessen höre ich, wie die Leute rufen und sich gegenseitig zu übertönen versuchen. Fred stürmt in die Eingangshalle und läuft auf mich zu, gerade als ich die Tür zu seinem Arbeitszimmer zugemacht habe.
Als er mich erblickt, bleibt er stehen. »Wo warst du?«, fragt er.
»Auf der Veranda«, sage ich schnell. Mein Herz hämmert. »Ich musste frische Luft schnappen.«
Er klappt den Mund auf; genau in diesem Moment kommt meine Mutter mit bleichem Gesicht in die Eingangshalle.
»Hana«, sagt sie. »Da bist du ja.«
»Was ist los?«, frage ich. Immer mehr Leute strömen aus dem Wohnzimmer: Aufseher in gebügelten Uniformen, Freds Leibwächter, zwei Polizisten mit ernsten Mienen und Patrick Riley, der hektisch seine Jacke anzieht. Mobiltelefone klingeln und das Rauschen der Walkie-Talkies erfüllt die Eingangshalle.
»Es gab einen Störfall an der Grenze«, sagt meine Mutter.
»Widerständler.« Am Gesichtsausdruck meiner Mutter kann ich ablesen, dass ich richtig geraten habe.
»Sie sind natürlich getötet worden«, sagt Fred laut, damit alle es hören können.
»Wie viele waren es?«, frage ich.
Fred dreht sich zu mir, während er den Arm in den Mantel schiebt, den ein Aufseher mit grauem Gesicht ihm gereicht hat. »Spielt das eine Rolle? Wir haben uns darum gekümmert.«
Meine Mutter wirft mir einen bösen Blick zu und schüttelt kaum wahrnehmbar den Kopf.
Hinter Fred murmelt ein Polizist in sein Walkie-Talkie. »Zehn-vier, zehn-vier, wir sind unterwegs.«
»Sind Sie so weit?«, fragt Patrick Riley Fred.
Fred nickt. In diesem Moment dröhnt sein Mobiltelefon los. Er holt es aus der Tasche und bringt es schnell zum Schweigen. »Mist. Wir beeilen uns besser. Im Büro laufen bestimmt schon die Telefone heiß.«
Meine Mutter legt mir einen Arm um die Schultern. Ich erschrecke kurz. Es kommt selten vor, dass wir uns berühren – sie muss besorgter sein, als es scheint.
»Komm«, sagt sie. »Dein Vater wartet auf uns.«
»Wo gehen wir hin?«, frage ich. Sie schiebt mich in den vorderen Teil des Hauses.
»Nach Hause«, sagt sie.
Draußen versammeln sich bereits die Gäste. Wir stellen uns in die Schlange der Leute, die auf ihre Wagen warten. Wir sehen, wie sich sieben oder acht Leute in ein Auto zwängen, Frauen mit langen Abendkleidern, die sich übereinander auf die Rückbänke schieben. Ganz offensichtlich will niemand zu Fuß gehen, während die Straßen vom entfernten Geheul der Sirenen erfüllt sind.
Mein Vater sitzt schließlich vorne neben Tony. Meine Mutter und ich quetschen uns mit Mr und Mrs Brande, die beide im Hygienedezernat arbeiten, auf den Rücksitz. Normalerweise kann Mrs Brande den Mund nicht halten – meine Mutter hatte immer die Theorie, dass das Heilmittel ihr die verbale Selbstkontrolle geraubt hat –, aber heute Abend schweigen wir alle. Tony fährt schneller als sonst.
Es fängt an zu regnen. Die Straßenlaternen werfen ein Muster aus unterbrochenen Lichtkränzen auf die Scheiben. Jetzt, hellwach vor Angst und Besorgnis, kann ich nicht glauben, wie dumm ich gewesen bin. Ich treffe einen plötzlichen Entschluss: nie wieder werde ich nach Deering Highlands fahren. Es ist zu gefährlich. Lenas Familie ist nicht mein Problem; ich habe getan, was ich konnte.
Die Schuldgefühle sind immer noch da und schnüren mir die Kehle ab, aber ich schlucke sie runter.
Wir fahren unter einer weiteren Straßenlaterne hindurch und der Regen strömt in Bächen über die Fenster; dann wird das Auto erneut von Dunkelheit verschluckt. Ich bilde mir ein, draußen im Dunkeln Gestalten zu sehen, Gesichter, die aus den Schatten auftauchen und wieder verschwinden. Als wir erneut unter einer Straßenlaterne durchfahren, sehe ich, wie eine Gestalt mit Kapuze aus dem Wald neben der Straße auftaucht. Ich kann ihr Gesicht kurz sehen und schreie leise auf.
Alex. Das ist Alex.
»Was ist los?«, fragt meine Mutter angespannt.
»Nichts, ich …« Als ich mich umdrehe, ist er schon weg, und ich bin mir sicher, dass ich mir das nur eingebildet habe. Ich muss es mir eingebildet haben. Denn Alex ist tot; er ist an der Grenze gefasst worden und hat es gar nicht bis in die Wildnis geschafft. Ich schlucke.
»Ich dachte, ich hätte etwas gesehen.«
»Keine Sorge, Hana«, sagt meine Mutter.
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