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Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)

Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)

Titel: Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Ozean schwebt. Der Nebel hebt sich; die Erde fängt an sich wachzuschütteln. Auch Portland wird sich langsam regen.
    Colin erklärt uns den Plan.

hana
    A
n meinem letzten Morgen als Hana Tate trinke ich meinen Kaffee allein auf der Veranda.
    Ich hatte vorgehabt, eine letzte Fahrradtour zu machen, aber daran ist jetzt nicht zu denken, nicht nach dem, was gestern Nacht passiert ist. Die Straßen wimmeln bestimmt nur so von Polizisten und Aufsehern. Ich werde meine Papiere zeigen müssen und Fragen abwehren, die ich nicht beantworten kann.
    Stattdessen sitze ich auf der Hollywoodschaukel, deren rhythmisches Quietschen mich tröstet. Die morgendliche Luft ist ruhig, kühl, grau und mit Salz durchsetzt. Heute wird bestimmt ein perfekter Tag, wolkenlos und schön. Gelegentlich stößt eine Möwe einen durchdringenden Schrei aus. Abgesehen davon ist es vollkommen still. Hier gibt es keine Alarmanlagen, keine Sirenen, keine Spur vom Tumult der letzten Nacht.
    Aber in der Innenstadt ist das sicher anders. Dort wird es Straßensperren und Sicherheitskontrollen geben, verstärkte Wachen an der neuen Mauer. Plötzlich fällt mir wieder ein, was Fred mir einmal über die Mauer gesagt hat – dass sie wie die Hand Gottes sei, die sich für immer schützend über uns ausbreite und die Erkrankten, die Geschädigten, die Ungläubigen und Unwürdigen aussperre.
    Aber vielleicht kann nichts uns vollkommen schützen.
    Ich überlege, ob es in den Highlands wieder Razzien geben wird, ob die Familien dort erneut vertrieben werden, schiebe den Gedanken aber schnell beiseite. Lenas Familie liegt außerhalb meiner Reichweite. Das erkenne ich jetzt. Das hätte ich schon von Anfang an erkennen müssen. Was mit ihnen geschieht – ob sie verhungern oder erfrieren –, geht mich nichts an.
    Auf die eine oder andere Art werden wir alle für das Leben, das wir gewählt haben, bestraft. Ich werde jeden Tag meines Lebens büßen – dafür, dass ich Lena verraten habe; dafür, dass ich ihrer Familie geholfen habe.
    Ich schließe die Augen und stelle mir Old Port vor: die holprigen Straßen, die Bootsliegeplätze, die Sonne, die sich auf dem Wasser spiegelt, und die Wellen, die sanft an den Kai schlagen.
    Leb wohl, leb wohl, leb wohl.
    In Gedanken folge ich einer Strecke vom Eastern Promenade Park bis hoch oben nach Munjoy Hill; unter mir erstreckt sich ganz Portland und glitzert im morgendlichen Licht.
    »Hana?«
    Ich öffne die Augen. Meine Mutter steht auf der Veranda. Sie schlingt ihr dünnes Nachthemd eng um sich und blinzelt; ihre Haut sieht ohne Make-up fast grau aus.
    »Du gehst wohl besser mal unter die Dusche«, sagt sie.
    Ich stehe auf und folge ihr ins Haus.

lena
    W
ir sind bis zur Mauer vorgerückt. In den Bäumen zusammengedrängt müssen etwa vierhundert von uns stehen. Letzte Nacht hat bereits eine kleine Einsatztruppe die Mauer überquert, um die letzten Vorbereitungen für den kompletten Durchbruch heute zu treffen. Und am frühen Morgen ist eine weitere kleine Gruppe – Colins handverlesene Leute – in der Nähe der Grüfte, wo noch keine Mauer gebaut wurde und die Sicherheitskräfte innen von Freunden und Verbündeten unterwandert worden sind, über den Zaun gestiegen.
    Aber das ist Stunden her und jetzt können wir nichts weiter tun, als auf das Signal zu warten.
    Der Haupttrupp wird die Mauer auf einmal durchbrechen. Die Mehrzahl der Sicherheitskräfte Portlands wird bei den Labors im Einsatz sein; ich habe gehört, dass dort heute eine Großveranstaltung stattfindet. Eigentlich sollte nur eine begrenzte Zahl an Beamten da sein, um uns aufzuhalten, obwohl Colin sich Sorgen macht, dass der Durchbruch letzte Nacht nicht so glattgelaufen ist wie geplant. Möglicherweise gibt es innerhalb der Mauern mehr Aufseher, mehr Gewehre, als wir denken.
    Wir müssen einfach abwarten.
    Von dort, wo ich im Unterholz kauere, kann ich gelegentlich Pippa sehen, wenn sie sich anderthalb Meter von mir entfernt hinter dem Wacholderstrauch bewegt, den sie zu ihrem Versteck auserkoren hat. Ob sie wohl nervös ist? Pippa hat eine der wichtigsten Aufgaben von allen. Sie ist für eine der Bomben verantwortlich. Der Haupttrupp – das Chaos an der Mauer – soll vor allem dazu dienen, den Bombenlegern den unbemerkten Zutritt nach Portland zu ermöglichen. Pippas Ziel ist die Essex Street 88, eine Adresse, die ich nicht kenne, wahrscheinlich ein Regierungsgebäude wie die übrigen Ziele.
    Die Sonne schiebt sich am Himmel langsam immer höher.

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