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Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)

Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)

Titel: Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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fällt ein, dass ich versuchen könnte, meine Mutter auf dem Handy zu erreichen, aber als ich ihre Nummer wähle, höre ich nur das Besetztzeichen. Das Mobilfunknetz muss überlastet sein. Ich komme mir plötzlich ganz klein vor. Das System bedeutet Sicherheit; allumfassende Sicherheit. In Portland wird man immer beobachtet.
    Aber jetzt scheint es, als wäre das System erblindet.
    »Machen Sie das Radio an«, bitte ich Tony und er tut es. Der staatliche Nachrichtensender ertönt. Die Stimme des Sprechers klingt beruhigend, beinahe träge – und er spricht entsetzliche Worte mit einem vollkommen ruhigen Tonfall.
    »… Durchbruch an der Mauer … keine Panik … bis die Polizei die Kontrolle wiedererlangt … Türen und Fenster schließen, die Häuser nicht verlassen … Aufseher und alle Regierungsbeamte arbeiten Hand in Hand …«
    Die Stimme des Nachrichtensprechers bricht abrupt ab. Einen Moment hört man nichts weiter als Rauschen. Tony drückt den Sendersuchlauf, aber die Lautsprecher summen und knacksen nur. Dann ertönt plötzlich eine fremde Stimme, übermäßig laut und drängend: »Wir erobern die Stadt zurück. Wir erobern unsere Rechte und unsere Freiheit zurück. Schließt euch uns an. Reißt die Mauern ein. Reißt die …« Tony stellt das Radio aus. Die Stille im Auto ist ohrenbetäubend laut.
    Ich muss an den Morgen des ersten terroristischen Angriffs zurückdenken, als an einem alltäglichen friedlichen Dienstag um zehn Uhr morgens drei Explosionen gleichzeitig in Portland erfolgten. Ich saß damals mit meiner Mutter im Auto; und als wir die Nachricht im Radio hörten, konnten wir es erst nicht glauben.
    Wir konnten es nicht glauben, bis wir den Rauch sahen, der den Himmel verdunkelte, und sahen, wie die Leute mit bleichen Gesichtern an uns vorbeiströmten, rannten, und die Asche dahintrieb wie Schnee.
    Cassandra hat gesagt, dass Fred für diese Angriffe verantwortlich war, weil er beweisen wollte, dass die Invaliden dort draußen sind, weil er zeigen wollte, dass sie Ungeheuer sind. Aber jetzt sind die Ungeheuer hier, innerhalb der Mauern, in unseren Straßen. Ich kann nicht glauben, dass er das zulassen würde.
    Ich will daran glauben, dass er es wieder in Ordnung bringen wird, auch wenn das bedeutet, sie alle umbringen zu müssen. Schließlich haben wir das Durcheinander und die Massen hinter uns gelassen. Wir sind jetzt in der Nähe der Cumberland Street, wo Lena gewohnt hat, einer langsam verfallenden Wohngegend. In der Ferne tutet das Nebelhorn im alten Leuchtturm von Munjoy Hill und begleitet und übertönt die Sirenen mit klagenden Tönen. Ich wünschte, wir würden statt zu Fred zu uns nach Hause fahren.
    Ich will mich in meinem Bett zusammenrollen und schlafen; ich will aufwachen und feststellen, dass das heute alles nur ein Albtraum war, der am Heilmittel vorbei durch die Ritzen gedrungen ist.
    Aber mein Zuhause ist nicht länger mein Zuhause. Auch wenn der Priester seine Erklärung nicht abschließen konnte, bin ich jetzt offiziell mit Fred Hargrove verheiratet. Nichts wird mehr so sein wie zuvor.
    Wir biegen nach links in die Sherman Street; dann rechts in noch eine Gasse, die uns zur Park Avenue führt. Gerade, als wir das Ende der Gasse erreichen, rennt jemand vor das Auto, ein grauer Fleck.
    Tony schreit auf und macht eine Vollbremsung, aber es ist zu spät. Ich habe gerade noch Zeit, um die zerlumpten Kleider und die langen verfilzten Haare wahrzunehmen – eine Invalide  –, bevor der Aufprall sie umwirft. Sie wird über die Motorhaube geschleudert und einen Moment gegen die Windschutzscheibe gedrückt, dann ist sie aus unserem Blickfeld verschwunden.
    Eine unvermittelte und unbändige Wut steigt in mir auf, eine stechende Spitze, die die Angst durchstößt. Ich beuge mich vor und schreie: »Das ist eine von denen, das ist eine von denen! Lassen Sie sie nicht entkommen!«
    Das muss ich Tony und den anderen Wachen nicht zweimal sagen. Augenblicklich schießen sie mit gezückten Pistolen hinaus auf die Straße und lassen die Türen des Wagens offen stehen. Meine Hände zittern. Ich balle sie zu Fäusten und lehne mich zurück, atme tief durch und versuche mich zu beruhigen. Jetzt, wo die Türen offen sind, höre ich die Sirenen deutlicher und auch entfernte Schreie wie das Tosen des Ozeans.
    Dies ist Portland, mein Portland. In diesem Moment spielt nichts sonst eine Rolle – nicht die Lügen oder die Fehler oder die Versprechen, die wir nicht gehalten haben. Dies ist

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