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Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)

Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)

Titel: Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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rückwärts, löst seinen Griff, und Julian lässt sich den fehlenden Meter zu Boden fallen, in das Durcheinander aus Körpern hinein: Invaliden und Aufseher, unsere Leute und ihre, die zu einem riesigen, sich windenden, blutigen Tier verschmolzen sind.
    Ich renne zum Ende des Simses und springe. Die paar Sekunden, in denen ich in der Luft schwebe – und ein Ziel darstelle – sind die schrecklichsten. Ich bin vollkommen ungeschützt, vollkommen verwundbar. Zwei Sekunden – höchstens drei, aber es fühlt sich an wie eine Ewigkeit.
    Als ich aufkomme, lande ich beinahe auf einem Aufseher und reiße ihn mit mir zu Boden, knicke um und stürze auf den Kies. Wir sind ineinander verschlungen, vorübergehend miteinander verbunden, und kämpfen um die Oberhand. Er versucht seine Waffe auf mich zu richten, aber ich bekomme sein Handgelenk zu fassen und drehe es heftig um. Er schreit auf und lässt die Pistole fallen. Jemand tritt dagegen und sie schießt mir aus den Fingern, in das Durcheinander aus grauem Staub.
    Dann sehe ich sie kaum dreißig Zentimeter entfernt. Der Aufseher entdeckt sie im selben Augenblick und wir strecken uns gleichzeitig danach aus. Er ist größer als ich, aber dafür schwerfälliger. Ich habe die Pistole eine ganze Sekunde vor ihm in der Hand und schließe die Finger um den Abzug, während seine Faust nichts weiter greift als Staub. Er brüllt wütend und stürzt sich auf mich. Ich reiße die Waffe hoch, treffe ihn seitlich am Kopf und höre ein Knacken, als die Pistole gegen seine Schläfe knallt. Er erschlafft und ich rappele mich auf, bevor ich zertrampelt werde.
    Ich habe den Geschmack von Metall und Staub im Mund und mein Kopf pocht. Ich kann Julian nicht sehen. Ich kann auch meine Mutter, Colin oder Hunter nicht sehen.
    Dann lässt eine Granatendetonation alles erbeben, eine Explosion aus Stein und weißem Mörtelstaub. Der Schlag reißt mich beinahe um. Erst glaube ich, dass eine der Bomben aus Versehen losgegangen ist, und ich sehe mich suchend nach Pippa um, versuche meinen Kopf von dem Klingeln zu befreien, von dem stechenden, erstickenden Staub, und sehe gerade noch, wie sie unentdeckt zwischen zwei Wachhäuschen hindurch in Richtung Stadtzentrum schleicht.
    Hinter mir knarrt eins der Gerüste und kippt träge um. Das Geschrei schwillt deutlich an. Hände bohren sich in meinen Rücken, als alle davonstürmen, um sich aus seiner Reichweite zu befreien. Langsam, langsam schwankt es knarrend – und dann, immer schneller werdend, kracht es zersplitternd zu Boden und begräbt die Unglücklichen unter seinem Gewicht.
    Am Fuß der Mauer gähnt jetzt ein Loch; mir wird klar, dass dies das Werk einer Rohrbombe sein muss, eine Explosion, die die Widerstandsbewegung mehr schlecht als recht zustande gebracht hat. Pippas Bombe hätte die Mauer mittendurch gerissen.
    Aber es reicht; unsere restlichen Leute dringen durch die Öffnung. Ein Strom aus Menschen, die verdrängt oder vertrieben wurden, enteignet und für krank erklärt, flutet nach Portland hinein. Die Wachen, eine ausgefranste Reihe blau-weißer Uniformen, werden von der Welle mitgerissen, zurückgedrängt und in die Flucht geschlagen.
    Ich habe Julian aus den Augen verloren. Es hat keinen Zweck, jetzt nach ihm zu suchen; ich kann nur beten, dass er in Sicherheit ist und unverletzt aus diesem Chaos herauskommt. Ich weiß auch nicht, wo Tack ist. Ein Teil von mir hofft, dass er mit Raven über die Mauer zurückgeklettert ist, und ich stelle mir vor, dass sie, sobald er sie in die Wildnis zurückgebracht hat, wieder aufwachen wird. Sie wird die Augen aufschlagen und feststellen, dass die Welt so wieder aufgebaut wurde, wie sie sie haben wollte.
    Oder vielleicht wacht sie auch nicht mehr auf. Vielleicht ist sie bereits auf einer anderen großen Reise und auf dem Weg zurück zu Blue.
    Ich dränge mich auf die Stelle zu, wo Pippa verschwunden ist. Das Atmen in der rauchgeschwängerten Luft fällt mir schwer. Eins der Wachhäuschen steht in Flammen. Mir fällt das alte Nummernschild wieder ein, das wir letzten Winter auf unserer Wanderung durch die Wildnis halb vergraben im Matsch gefunden haben.
    Frei sein oder tot.
    Ich stolpere über einen Leichnam. Mir wird schlecht – einen Sekundenbruchteil überkommt mich Schwärze, die in meinem Magen zusammengerollt ist wie Ravens Haare auf Tacks Bein, Raven ist tot, o Gott  –, aber ich schlucke und atme und gehe weiter, kämpfe und dränge weiter. Wir wollten die Freiheit, zu lieben. Wir

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