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Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)

Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)

Titel: Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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bereits eingesetzt. Von überallher dringt außerdem Gebrüll; erstickte Aufschreie in der Dunkelheit; Fäuste auf Fleisch.
    Wir erreichen das Flussufer, das jetzt gespenstisch ruhig ist. In der Tiefe des Flussbetts wimmelt es nicht mehr vor Menschen, die um Wasser kämpfen. Denn es ist kein Wasser mehr da, um das man kämpfen könnte – nur ein winziges Rinnsal, nicht breiter als ein Finger, schwarz vor Schlamm.
    Die Mauer ist einen guten Kilometer entfernt und dann sind es noch mal etwa sechs Kilometer in nordwestlicher Richtung daran entlang bis hin zu den besser gesicherten Gegenden. Wenn es dort zu einem Problem kommt, erregt das die meiste Aufmerksamkeit und lenkt die meisten Sicherheitskräfte von der Stelle ab, an der Raven, Tack und die anderen durchbrechen müssen.
    Vorhin hat Pippa den zweiten, kleineren Kühlschrank aufgeschlossen, in dem Fächer voll mit Waffen zum Vorschein kamen, die die Widerstandsbewegung ihr geschickt hat. Tack, Raven, Lu, Hunter, Dani und Julian wurden mit je einer Pistole ausgestattet. Wir mussten uns dagegen mit einer halbvollen Flasche Benzin zufriedengeben, in der ein alter Lumpen steckt – Bettelsack hat Pippa sie genannt. In stillschweigendem Einverständnis ist mir die Aufgabe zugefallen, sie zu tragen. Im Gehen scheint sie in meinem Rucksack mit jedem Schritt schwerer zu werden und schlägt unbequem gegen meine Wirbelsäule. Ich komme nicht umhin, an plötzliche Explosionen zu denken, daran, aus Versehen in Stücke gerissen zu werden.
    Wir erreichen die Stelle, wo das Lager auf die südliche Grenzmauer der Stadt trifft und eine Welle aus Menschen und Zelten gegen den Stein stößt. Dieser Teil der Mauer und die Stadt dahinter sind verlassen. Riesige dunkle Scheinwerfer recken ihre Hälse über das Lager. Aber nur eine einzige Leuchtstoffröhre ist noch intakt: Sie verströmt ein helles weißes Licht, das die Umrisse der Dinge deutlich hervorhebt, die Einzelheiten und die Tiefe jedoch im Dunkeln belässt, wie ein Leuchtturm, der über dunkles Wasser strahlt.
    Wir folgen der Grenzmauer Richtung Westen und lassen das Lager schließlich hinter uns. Der Boden unter unseren Füßen fühlt sich trocken an. Bei jedem Schritt knackt und knistert der Teppich aus Kiefernnadeln. Abgesehen davon ist es still, sobald die Geräusche des Lagers verebbt sind.
    Angst nagt an mir. Ich mache mir nicht so sehr Sorgen um die Aufgaben unseres Trupps – wenn alles gut geht, müssen wir die Mauer noch nicht mal überwinden –, aber Julian steckt tief im Schlamassel. Er hat keine Ahnung, was er da tut, keine Ahnung, worauf er sich da einlässt.
    »Das ist doch verrückt«, sagt Coral plötzlich. Ihre Stimme klingt hoch, schrill. Sie muss die ganze Zeit über gegen ihre Panik angekämpft haben. »Das funktioniert nie. Das ist glatter Selbstmord.«
    »Du hättest ja nicht mitkommen müssen«, entgegne ich mit scharfer Stimme. »Es hat dich keiner darum gebeten, dich freiwillig zu melden.«
    Es ist, als ob sie mich gar nicht hören würde. »Wir hätten unsere Zelte hier abbrechen und abhauen sollen«, sagt sie.
    »Und alle anderen ihrem Schicksal überlassen?«, gebe ich zurück.
    Coral erwidert nichts. Sie ist offensichtlich genauso unglücklich darüber, dass wir gezwungen sind zusammenzuarbeiten, wie ich – wahrscheinlich sogar noch unglücklicher, weil ich das Sagen habe.
    Wir schlängeln uns zwischen den Bäumen hindurch und folgen den unregelmäßigen Bewegungen von Brams Lampe, deren Lichtschein vor uns auf- und abhüpft wie ein überdimensioniertes Glühwürmchen. Dann und wann überqueren wir Betonwege, die von der Stadtmauer wegführen. Früher hätten diese alten Straßen zu anderen Städten geführt. Jetzt verschwinden sie in der Erde und fließen wie graue Flüsse um die Füße neuer Bäume. Schilder – von braunem Efeu gewürgt – weisen den Weg zu Städten und Restaurants, die schon vor langer Zeit aufgegeben wurden.
    Ich werfe einen Blick auf die kleine Plastikuhr, die Beast mir geliehen hat: halb zwölf. Vor anderthalb Stunden sind wir losgegangen. Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit, bevor wir den Lumpen anzünden und die Flasche über die Mauer werfen sollen. Im Osten wird gleichzeitig eine weitere Explosion stattfinden, direkt südlich von der Stelle, an der Raven, Tack, Julian und die anderen die Mauer überqueren werden. Hoffentlich lenken die beiden Explosionen die Aufmerksamkeit von der Stelle des Durchbruchs ab.
    So weit vom Lager entfernt ist die Grenze besser

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