Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
entfernt. Seine ganze Wut ist verraucht; stattdessen wirkt er erschrocken, seine Arme hängen schlaff herab. Er sieht Julian verwirrt an, als wüsste er nicht, wie dieser da hingeraten sei.
Ich stehe auf und gehe auf ihn zu, spüre, wie die Wut mir bis in die Finger kriecht. Ich will sie ihm um den Hals legen, ihn würgen.
»Was zum Teufel ist los mit dir?« Meine Stimme ist leise. Ich muss die Worte an einem dicken Klumpen aus Wut in meiner Kehle vorbeizwängen.
»Es … es tut mir leid«, flüstert Alex. Er schüttelt den Kopf. »Ich wollte nicht … Ich weiß nicht, was passiert ist. Es tut mir leid, Lena.«
Wenn er mich weiterhin so ansieht – bittend, Verständnis suchend – werde ich ihm bestimmt verzeihen, das weiß ich.
»Lena.« Er macht einen Schritt auf mich zu, doch ich gehe einen Schritt zurück. Eine Weile stehen wir so da; ich kann die Last seines Blicks auf mir spüren und die Last seines Schuldgefühls. Aber ich werde ihn nicht ansehen. Das kann ich nicht.
»Es tut mir leid«, wiederholt er noch einmal, so leise, dass Raven und Tack es nicht hören können. »Alles.« Dann dreht er sich um, geht in den Wald und ist verschwunden.
hana
A
us den Tiefen meines Schlafs steigt ein Traum auf und nimmt Gestalt an.
Lena.
Lenas Gesicht, das aus dem Schatten treibt. Nein. Nicht aus dem Schatten. Sie erhebt sich aus der Asche, aus einem großen Haufen Schlacke und Kohle. Ihr Mund ist offen. Ihre Augen sind geschlossen. Sie schreit.
Hana . Sie schreit nach mir. Die Asche rieselt wie Sand in ihren offenen Mund und ich weiß, dass sie bald wieder darunter begraben sein wird, zum Schweigen gezwungen, zurück in der Dunkelheit. Und ich weiß auch, dass ich keine Möglichkeit habe, sie zu erreichen – keinerlei Hoffnung, sie zu retten.
Hana , schreit sie, während ich bewegungslos dastehe.
Verzeih mir , sage ich.
Hilfe, Hana.
Verzeih mir, Lena.
»Hana!«
Meine Mutter steht in der Tür. Ich setze mich verwirrt und erschrocken auf, während Lenas Stimme immer noch in meinem Kopf widerhallt. Ich habe geträumt. Ich sollte eigentlich nicht träumen.
»Was ist los?« Sie zeichnet sich im Türrahmen ab; hinter ihr kann ich gerade so das kleine Nachtlicht vor meinem Bad erkennen. »Bist du krank?«
»Nein, mir geht’s gut.« Ich streiche mir mit der Hand über die Stirn. Sie ist ganz nass. Ich schwitze.
»Bist du sicher?« Sie macht eine Bewegung, als wollte sie das Zimmer betreten, aber dann bleibt sie doch im Türrahmen stehen. »Du hast aufgeschrien.«
»Ja, ich bin sicher«, sage ich. Und dann, weil sie offenbar noch etwas erwartet: »Ich bin wahrscheinlich nervös wegen der Hochzeit.«
»Es gibt keinen Grund, nervös zu sein«, sagt sie und klingt verärgert. »Es ist alles unter Kontrolle. Es wird alles gut werden.«
Ich weiß, dass sie über mehr spricht als die Hochzeitszeremonie selbst. Sie meint die Ehe insgesamt: Sie ist sorgfältig geplant und abgestimmt worden – dazu bestimmt, dass sie wunderbar funktionieren wird, auf Effizienz und Perfektion hin arrangiert.
Meine Mutter seufzt. »Versuch ein wenig zu schlafen«, sagt sie. »Wir gehen um halb zehn mit den Hargroves in eine Kirche bei den Labors. Um elf ist die letzte Hochzeitskleidanprobe. Und dann ist morgen noch das Interview für Haus und Heim .«
»Gute Nacht, Mom«, sage ich und sie geht, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Privatsphäre bedeutet uns weniger als früher: ein weiterer unvorhergesehener Nutzen oder Nebeneffekt des Heilmittels. Weniger Geheimnisse.
Zumindest in den meisten Fällen.
Ich gehe ins Bad und spritze mir Wasser ins Gesicht. Obwohl der Ventilator läuft, ist mir wahnsinnig heiß. Als ich in den Spiegel blicke, kann ich einen Moment lang Lenas Gesicht sehen, das mich durch meine eigenen Augen anstarrt – eine Erinnerung, ein Bild aus einer begrabenen Vergangenheit.
Ich blinzle.
Sie ist weg.
lena
A
lex ist nicht wieder da, als Raven, Tack, Julian und ich zum Versteck zurückkehren. Julian hat sich etwas erholt und darauf bestanden, er könne allein laufen, aber trotzdem hat Tack einen Arm um seine Schultern gelegt. Julian ist wacklig auf den Beinen und blutet immer noch stark. Sobald wir das Versteck erreicht haben, plappern Bram und Hunter aufgeregt über das, was passiert ist, bis ich ihnen den bösesten Blick zuwerfe, den ich zustande bringe. Coral kommt schläfrig blinzelnd zur Tür, einen Arm auf ihren Magen gelegt.
Alex ist noch nicht wieder da, als wir Julian das Blut
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